19.12.2023

Kohlenstoffnitride als Konkurrenz für Diamanten

Unter Hochdruck hergestellt, im Vakuum charakterisiert und bei Atmosphärendruck einsetzbar.

In einer bahnbrechenden Forschungs­arbeit haben Wissen­schaftler lang gesuchte Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindungen synthetisiert und das Potenzial von Kohlen­stoff­nitriden als neue Klasse von super­harten multi­funktio­nellen Materialien erschlossen, die es mit Diamant aufnehmen könnten.

Abb.: Im Laboratorium für Kristallographie der Universität Bayreuth wird...
Abb.: Im Laboratorium für Kristallographie der Universität Bayreuth wird unter Hochdruck geforscht.
Quelle: Uni Bayreuth

Seit 1989, als in der Zeitschrift Science eine Kohlen­stoff-Stickstoff-Verbindung C3N4 mit außer­gewöhnlichen mechanischen Eigen­schaften, die möglicher­weise die Härte von Diamant übertreffen, angekündigt worden war, wird dieses Thema weltweit erforscht. Den Durch­bruch erzielten jetzt Hoch­druck­wissen­schaftler und -wissenschaft­lerinnen der Universität Bayreuth und Universität Edinburgh.

Sie setzten verschiedene Kohlen­stoff-Stick­stoff-Vorstufen unglaublich hohen Drücken zwischen 70 und 135 Gigapascal (GPa) aus, wobei 100 GPa dem 1.000.000-fachen des Atmo­sphären­drucks entsprechen, und erhitzten sie in Diamant­stempel­zellen auf über 2000 Kelvin. Für die Charak­teri­sierung des neuen Materials war dann wieder Vakuum­technik gefragt: Die Proben wurden mittels Einkristall-Röntgen­beugung an drei Teilchen­beschleunigern untersucht – der European Synchrotron Research Facility (ESRF, Frankreich), dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY, Deutschland) und der Advanced Photon Source (APS, Vereinigte Staaten).

Abb.: Ultrainkompressibel und superhart: Das Polyedermodell von hP126-C₃N₄...
Abb.: Ultrainkompressibel und superhart: Das Polyedermodell von hP126-C₃N₄ in c-Richtung betrachtet. Die grünen, rosafarbenen, roten und blaugrünen Tetraeder heben die sechs-, fünf-, vier- und dreigliedrigen Gruppen von CN₄-Tetraedern hervor.
Quelle: Uni Bayreuth

Die Ergebnisse zeigten vier Kohlenstoffnitride mit den Zusammen­setzungen CN, CN2 und C3N4 und unterschiedlich komplexen Strukturen. Die Kristall­strukturen der C3N4 Allotrope bestehen aus einem Gerüst aus eckenteilenden CN4-Tetraedern, was ein Schlüssel zu ihren über­legenen mechanischen Eigenschaften – Ultra-Inkompres­sibili­tät (In­kompres­sibili­tät herrscht, wenn das Volumen eines Körpers trotz Drucks fast konstant angenommen werden kann) und Superhärte – ist. Beides konnte nun nachgewiesen werden. Die Tatsache, dass die Hochdruck-C3N4-Kohlen­stoff­nitride Abdrücke auf einer Diamant­oberfläche hinter­lassen, ist ein Beweis für ihre aus­gezeichnete Härte, die mit der von Diamant selbst ver­gleichbar ist.

Abb.: Abdruck von Hochdruck-Kohlenstoffnitriden C₃N₄ auf...
Abb.: Abdruck von Hochdruck-Kohlenstoffnitriden C₃N₄ auf Diamantoberfläche. Die Experimente belegen die mit Diamant vergleichbare Superhärte des neuen Materials.
Quelle: Uni Bayreuth

„Es wird erwartet, dass die in dieser Arbeit synthe­tisierten Kohlen­stoff­nitride neben ihren mecha­nischen Eigen­schaften mehrere außergewöhnliche Funktio­nalitäten aufweisen und das Potenzial haben, technische Materialien der gleichen Kategorie wie Diamant zu sein. Aber im Gegen­satz zu Diamant können sie leicht mit etwas angereichert werden, was bei ‚Diamantelektronik‘ immer ein Problem ist", sagt Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia vom Labor für Kristallographie an der Universität Bayreuth, eine Hauptautorin der Forschungs­arbeit. Die theoretischen Unter­suchungen der physikalischen Eigen­schaften wurden von Wissenschaftlern und Wissen­schaftle­rinnen der Universität Linköping (Schweden) durchgeführt. Sie haben gezeigt, dass diese stark kovalent gebundenen Materialien nicht nur ultra-inkompres­sibel und super­hart sind, sondern auch eine hohe Energiedichte und piezo­elektrische Eigenschaften besitzen, zusätzlich zu experimentell in Bayreuth fest­gestellten photo­lumines­zenten und nichtlinearen optischen Eigenschaften.
 
Bemerkenswert ist auch, dass alle vier Hochdruck-Kohlenstoffnitride bis auf Umgebungsdruck und -temperatur zurückgewonnen werden können. „Die Rückgewinnung komplexer Materialien, die oberhalb von 100 GPa synthetisiert wurden, ist ein bisher einmaliger Fall und eröffnet damit neue Perspektiven für die Hochdruck-Material­wissenschaft im Allgemeinen“, sagt Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky vom Bayerischen Institut für Experimentelle Geochemie und Geo­physik an der Universität Bayreuth, ein Haupt­autor der Forschungs­arbeit.

Nach Einschätzung der Universität Bayreuth verspricht dieser Durchbruch eine Fülle von technologischen Fortschritten in verschiedenen Bereichen, von der Materialwissenschaft über die Elektronik bis hin zur Optik und darüber hinaus. Die potenziellen Anwendungen dieser ultrakomprimierbaren Kohlenstoffnitride sind enorm, da sie transparente Breitband-Halbleiter sind und starke lumineszierende, piezoelektrische und nichtlineare optische Eigenschaften besitzen. Diese werden vor allem in der Energie-, Umwelt-, Luft- und Raumfahrttechnologie und anderen Branchen gebraucht. Damit sind diese neuen Kohlenstoffnitride die ultimativen technischen Materialien, die mit Diamanten konkurrieren können.

Uni Bayreuth / LK


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