Künstliche Intelligenz – Revolution oder Hype?
Befürchtungen, dass Künstliche Intelligenz den Menschen die Kontrolle aus der Hand nehmen könnte, dürften auf lange Zeit Science Fiction bleiben.
Die Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Die Bundesregierung hat ein Milliardenprogramm zu ihrer Förderung in Gang gesetzt, weltweit tobt ein Wettrennen um die besten Köpfe für die eigenen Forschungsstandorte. Dagegen warnte Stephen Hawking noch kurz vor seinem Tod, dass die KI das Ende der Menschheit bedeuten könne. Denn sie werde sich irgendwann selbstständig machen, Machtwillen entwickeln und die Menschheit unter ihre Kontrolle bringen. Der Transhumanist Nick Bostrom, Philosophieprofessor an der Oxford University, hat ausgerechnet, dass das im Jahre 2075 mit 90 % Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird. Bei allen Zweifeln an solchen „Berechnungen“: Angst und Sorge sind im Raum und verbreiten sich in den Medien.
So neu ist KI aber gar nicht. Sie war bereits in den späten 1970er Jahren ein weltweiter Technikhype, teils mit ähnlichen Hoffnungen und Befürchtungen wie heute. Danach war erst einmal lange Zeit Funkstille. Also alles nur ein Hype, den wir gelassen vorüberziehen lassen können?
Das wäre zu einfach. Immerhin ist mit der Entwicklung der KI eine menschheitsgeschichtliche Zäsur verbunden: Zum ersten Mal wird Technik lernfähig, sie lernt das Lernen, könnte man sagen, auch wenn das bislang verglichen mit menschlichem Lernen eine Schrumpfform ist. Im Alltag gibt es bereits jede Menge Anwendungen, von denen wir profitieren, meist, ohne die KI dahinter zu bemerken. Auch die Physik profitiert, wie Thomas Fösel und Florian Marquardt vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts und Talitha Weiss vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck in der aktuellen Ausgabe von Physik beschreiben.
Die Digitalisierung hat sich schon lange in der Physik unentbehrlich gemacht. Das Higgs-Teilchen wäre nicht nachgewiesen worden ohne die Möglichkeiten, riesige Datenmengen zu erheben, zu speichern und auszuwerten. Die Klima- und Atmosphärenphysik ist zu einem guten Teil eine Datenwissenschaft geworden. Weitere Beispiele ließen sich leicht finden. In der KI liegen sicher Potenziale, die Erkenntnismöglichkeiten auch der Physik auszuweiten.
Kommt dann der „künstliche Physiker“ und werden Menschen überflüssig, wenn KI-gestützte Technik immer mehr kann als wir? Der Sieg einer KI gegen den menschlichen Go-Weltmeister 2016 war ein Signal. Aber das ist eine falsche Frage. Schließlich ist jede Maschine auf speziellen Gebieten besser als Menschen, sonst bräuchten wir sie nicht. Hier liegt das Problem nicht.
Herausforderungen gibt es aber reichlich. Besonders für die Physik ist die Frage relevant, welche Art von „Erkenntnis“ KI-gestützte Algorithmen auf Basis großer Datenmengen erzeugen können. KI erkennt Muster viel schneller und besser als Menschen. Aber Muster sind nichts weiter als Korrelationen zwischen Daten. Die Physik jedoch ist nicht auf Korrelationen gegründet, sondern setzt seit Jahrhunderten und mit großem Erfolg auf Kausalität. Hinter einer noch so schönen Korrelation muss keine Kausalität stecken – es gibt viele Zufälligkeiten in der Welt. Physik ausschließlich als Data Driven Science zu betreiben, ginge an ihrem Wesen vorbei. KI bleibt ein Mittel zum Zweck, letztlich wie andere Technik auch.
Von daher dürften Befürchtungen, dass KI ein Selbstbewusstsein entwickeln und den Menschen die Kontrolle aus der Hand nehmen könnte, auf lange Zeit wohl Science-Fiction-Visionen bleiben. Andere Probleme sind real und dringender. Da ist die zusehends schlechter werdende Nachvollziehbarkeit, wie Outputs in komplexen Systemen mit Big Data und KI aus den Daten entstehen. Auch für die Physik ist das eine Herausforderung, denn Nachvollziehbarkeit und Transparenz sind unverzichtbar für wissenschaftliche Qualität und Präzision. Oder das Problem der Machtverteilung: Einige machen die KI und gestalten dadurch Zukunft, andere müssen sich anpassen und „werden gestaltet“. Die Demokratie steht zudem vor der Gefahr ungeheurer Manipulationsmöglichkeiten.
Diese wie viele andere sind genauso ernsthafte Herausforderungen, wie es ernsthafte Potenziale der KI gibt. Deswegen ist KI mehr als ein Hype. Ist sie eine Revolution? Wenn ja, so würde ich sagen: eine langsame. Eine, die nicht wie ein Tsunami über uns kommt, sondern die wir gestalten können.
Armin Grunwald, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Karlsruhe
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