13.11.2020 • NanophysikBiophysik

Künstlichen Flimmerhärchen pumpen Flüssigkeiten

Auf der Suche nach dem optimalen Bewegungsmuster für einen maximalen Flüssigkeitsstrom.

Wissenschaftler des MPI für intelli­gente Systeme entwickeln künst­liche Flimmer­härchen, die so program­miert werden können, dass sie sich in Wellen bewegen. In Experi­menten zeigen sie, wie die milli­meter­kleinen Zilien viskose Flüssig­keiten genauso effektiv pumpen können wie ihr natür­liches Vorbild. Die Forschen wollen die Frage beantworten, welches Bewegungs­muster einen maxi­malen Flüssig­keits­strom erzeugt.

Abb.: Inspiriert von natür­lichen Flimmer­härchen (links) pumpen die...
Abb.: Inspiriert von natür­lichen Flimmer­härchen (links) pumpen die künst­lichen Flimmer­härchen (rechts) – dank ihrer optimal koordi­nierten Bewegung – sehr effi­zient ver­schie­dene Flüssig­keiten und Partikel. (Bild: MPI-IS)

Zilien sind haarähnliche Strukturen, die zum Beispiel in den Atem­wegen vorkommen. Dort liegen sie wie ein Teppich auf der Schleim­haut. Durch die Zilien­bewegung wird Schleim und an ihm haftende, unerwünschte Substanzen aus den Atem­wegen befördert. Ähnliche Flimmer­härchen kommen auch in den Eileitern vor, die Eizellen in Richtung der Gebär­mutter trans­portieren. Auch Korallen haben Zilien – dünne gemein­schaft­lich schlagende Geißel­haare, die Wasser aufwirbeln und so Nähr­stoffe und Sauer­stoff anschwemmen.

Der von den Wissenschaftlern jetzt entwickelte Roboter ähnelt echten Flimmer­härchen, ist jedoch größer: Jedes Replikat einer Zilie ist knapp einen Milli­meter lang. Das ist hundertmal grösser als ein natür­liches Flimmer­härchen, wie es zum Beispiel in einer Lunge vorkommt. Die Wissen­schaftler bauten die künst­lichen Flimmer­härchen aus einem Elastomer, einem gummi­ähn­lichen Kunst­stoff, in den sie magnetisch geladene Partikel in einem ganz bestimmten Muster ein­betteten. So wird jedes Härchen program­mierbar: Die Forscher können nicht nur die Bewegung jedes einzelnen Flimmer­härchens fern­steuern, sondern auch die koordi­nierte Bewegung aller Flimmer­härchen im Zusammen­spiel mit ihren Nachbarn.

Die Forscher schalteten ein rotierendes externes Magnet­feld an und zeigten, dass ihre künst­lichen Flimmer­härchen eine wellen­förmige Bewegung aus­führten, die der Bewegung echter Flimmer­härchen ähnelt. Sie verwendeten einen roten Farbstoff und zeigten mit Hilfe eines bild­gebenden Verfahrens, wie die Härchen eine viskose Flüssig­keit pumpen und Partikel dank der optimal koordi­nierten Bewegung der Härchen effizient trans­portieren.

Die Forscher zeichneten die peitschen­artig schlagende Bewegung der künst­lichen Geißel­haare mit einer Hoch­geschwin­dig­keits­kamera auf. Die schlanken Strukturen bewegen sich ähnlich wie echte Flimmer­härchen: weder synchron noch zufällig, sondern koordi­niert wellen­artig. Wissen­schaft­liche Studien haben gezeigt, dass eine solche meta­chronale Welle im Laufe der Evolution perfek­tio­niert wurde und einen optimalen Flüssig­keits­strom erzeugt.

Die Erforschung natürlicher Flimmer­härchen und ihres kollek­tiven Verhaltens ist eine heraus­fordernde Aufgabe, da echte Zilien oft nur wenige Mikro­meter klein sind. Selbst mit einem Mikro­skop sind Flimmer­härchen nur sehr schwer zu sehen. Zudem ist es unmöglich, ihre Bewegung zu kontrol­lieren. Indem sie Zilien künstlich nach­bildeten, gelang es den Wissen­schaftlern, den grund­legenden quanti­tativen Zusammen­hang zwischen der meta­chronalen Koordi­na­tion und dem damit ausge­lösten Flüssig­keits­strom experi­men­tell aufzu­zeigen.

„Mit unserem künst­lichen System können wir die Flimmer­härchen-Bewegung ähnlich wie echte Flimmer­härchen in einem größeren Maßstab nach­ahmen, wobei immer die gleichen physi­ka­lischen Gesetze gelten. Auf diese Weise können wir viele verwert­bare Daten erzeugen. Wir können quanti­fi­zieren, welche Bewegungs­muster einen maxi­malen Flüssig­keits­strom erzeugen“, sagt Team-Mitglied Xiao­guang Dong.

In mehreren Experimenten zeigte das Team, dass nur anti­plek­tische meta­chronale Wellen den Flüssig­keits­strom verbessern können. Anti­plektisch bedeutet, dass die Wellen­aus­breitungs­richtung entgegen­gesetzt zu der des Flüssig­keits­stroms ist. Die Beobachtungen der Forscher beweisen die kritische Funktion der anti­plek­tischen meta­chronalen Wellen und enthüllen die grund­legende quanti­tative Beziehung zwischen der meta­chronalen Koordi­na­tion und dem indu­zierten Flüssig­keits­strom sowohl in künst­lichen als auch in natür­lichen Flimmer­härchen.

Die künstlichen Flimmer­härchen könnten nach Ansicht der Wissen­schaftler für die weitere Unter­suchung vieler interes­santer Fragen genutzt werden, etwa wie sich die Strömungs­muster der Flüssig­keit ändern, wenn die Dynamik der Flimmer­härchen, die Geometrie der Ränder oder die Art der umgebenden Flüssig­keit variiert wird.

MPI-IS

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