13.05.2022

Lärmfallen für Trittschall

Akustische schwarze Löcher mindern störende Geräusche von Holzböden.

An der Empa in der Schweiz wird derzeit die Forschung zu einer Weltneuheit in der Schalldämmung von Holzbauten abgeschlossen. Mit einer physi­kalischen Theorie aus den 1990er-Jahren und den Mitteln der Digi­talisierung hat ein Forschungsteam neue Bodenelemente aus Massivholz­platten entwickelt, die über akustische schwarze Löcher verfügen. Die zündende Idee kam von Stefan Schoenwald, dem Leiter des Bauakustik­labors der Empa in Dübendorf. Die Theorie der akustischen schwarzen Löcher ist ihm seit deren ersten Publikation 1987 mehrfach an Konferenzen und in wissen­schaftlichen Veröffent­lichungen begegnet. Laut dem russischen Autor M.A. Mironov vom Andreyev Acoustics Institute in Moskau kann eine parabolische Aussparung in einem Material Vibrationen wie Schall aufnehmen und ausschwingen lassen.

Abb.: Intelligente Lärm­dämmung. Berechnungen der Schwingung von Holzplatten...
Abb.: Intelligente Lärm­dämmung. Berechnungen der Schwingung von Holzplatten mit akustischen Fallen. (Bild: Empa)

Akustische schwarze Löcher kamen bereits bei Autos und Flugzeugen zur Anwendung, wobei sich ihre schall­vermindernde Wirkung bestätigte. Allerdings ist die Fertigung bei sehr dünnen, harten Materialien nicht einfach. Weder im Holzbau noch in der Bauakustik fanden je Experimente mit Mironovs Aussparungen statt. Dies ändert Laborleiter Stefan Schoenwald nun gemeinsam mit seinem Kollegen Sven Vallely. Mit neuartigen Brettsperr­holzplatten-Elementen wollen die beiden Forscher die Trittschall­dämmung im Holzbau verbessern. „Wenn man auf einen Boden auftritt, ist das wie ein Stein, den man in einen Teich wirft: Im Material breiten sich in alle Richtungen Schallwellen aus“, erläutert Schoenwald.

Wenn nach einer spezifischen mathe­matischen Funktion eine linsenförmige Vertiefung aus dem Material gefräst wird, laufen die Schallwellen in diesen Bereich hinein. Dabei verstärken sich die Ampli­tuden immer weiter, während die Wellenläge der Schwingungen abnimmt. „Könnte man die Platten im Bereich dieser Vertie­fungen unendlich dünn machen, dann würden sich die Schallwellen tatsächlich von alleine in diesen „schwarzen Löchern“ totlaufen, es käme also nichts mehr aus der Linse“, so Schoenwald. Fraglich war allerdings, ob die schall­mindernde Wirkung auch bei einer beschränkten Tiefe der Aussparung eintritt. 

Die Idee, mit akustischen schwarze Löchern in Holzbauten zu experi­mentieren, kam Stefan Schoenwald während der Arbeit. Er bat seinen Kollegen Vallely, die schallmindernde Wirkung am Computer zu simulieren und durchzurechnen. Um statische Bedenken aus dem Weg zu räumen, wurde Andrea Frangi, ein Holzbau-Experte der ETH Zürich, nach seiner Einschätzung gefragt. Nicht nur dessen Rückmeldung, sondern auch die Modellierung der Schall­minderung am Computer war vielver­sprechend. Also gab Schoenwald einen Prototyp und eine normale Kontroll­platte aus dem gleichen Material in Auftrag. Mit einer CNC-Maschine fräste der Holzbau-Spezialist Alex Bellmont von der Strüby AG in Seewen dort die linsenförmige Kuhle massgenau aus einer Brettsperrholzplatte. „So ein Auftrag ist zwar nicht sehr schwierig, aber dafür umso spannender“, sagt der Maschinist, „ich habe noch nie etwas hergestellt, an dem dann geforscht wird.“

Die beiden Platten – einmal mit, einmal ohne akustische schwarze Löcher – wurden darauf einer Schwingungsanalyse unterzogen. Bei dieser Messung wird Schall über das ganze relevante Schallspektrum als Vibration in den Testkörper geleitet. Ein Laser misst die Vibration der Test-Platten rasterförmig an mehreren Stellen. Mit den Messwerten kann dann berechnet werden, wie sich die Vibration durch die Platte bewegt – und, ob die ausgefrästen Dellen den Schall auch wirklich einfangen und in Form von Wärme verpuffen lassen. Noch vor zehn Jahren wäre eine solche Versuchs­reihe nicht durchführbar gewesen. Schon die Modellierung der Vibration eines kleinen Bandbreite­bereichs war vom rechnerischen Aufwand her eine Dissertation.

Heute rechnen Schoenwald und Vallely an einem Nachmittag das ganze akustische Spektrum durch und machen die Vibrationen als Visuali­sierung gleich sichtbar. Ziel des Versuchs ist es, zu untersuchen, ob die simulierten Resultate sich mit den gemessenen Werten decken. Denn wenn das Computer­modell der Realität entspricht, können am Computer nahezu kostenlos alle möglichen Parameter verändert werden, ohne dass jedes Mal eine neue Versuchs­platte angefertigt werden muss. So lässt sich die Schall­minderung ohne aufwändige Experimente für Holzelemente aller möglichen Grössen und Geometrien optimieren. 

Ergebnis der Untersuchungen: Die Messwerte stimmen sehr gut mit der Modell­rechnung überein. Mit einer Abweichung von lediglich rund fünf Prozent ist Stefan Schoenwald sehr zufrieden. Diese Abweichung lässt sich durch die Fertigung der Platten und die natürliche Variation des Holzes erklären, ergänzt Vallely. Nun folgen die nächsten Versuche mit den in Seewen gefertigten Testplatten: „Aktuell sind wir an den Trittschall­messungen, die wir nach internationalen Normvorgaben durchführen. Im nächsten Schritt müssen die Brandschutz- und Statik-Eigenschaften bestätigt werden“, erklärt Schoenwald. Diese weiteren Untersuchungen sollen sicherstellen, dass die Brettsperr­holzplatten nicht nur mindestens auf markt­üblichen Niveau den Schall dämmen, sondern auch alle für die Verwendung im Bau notwendigen Zertifizierungen erhalten. 

„Bei der Dämmung von Trittschall muss ich drei Eigenschaften zugleich im Auge behalten: die Masse des Bauteils einerseits, seine Steifig­keit und die Bedämpfung andererseits. Steifigkeit und Bedämpfung widerstreben sich – ein weiches Bauteil lässt sich gut bedämpfen, ein steifes Bauteil weniger gut“, sagt Stefan Schoenwald. „Klassische Massivholz­decken sind zugleich leicht und steif – hier verbinden sich also zwei ungünstige Eigen­schaften“. Ein möglicher Ausweg ist es, die Masse des Bauteils zu erhöhen. In moderne Holzhäuser bauen die Architekten daher dicke Schichten von Kies zur Beschwerung ein. So geraten die Holz­decken weniger leicht in Vibration, falls ein Erwachsener darüber läuft oder ein Kind durch die Wohnung hüpft.

Schoenwald und Vallely beschreiten einen anderen Lösungspfad. „Wir machen die Holzdecken an bestimmten Stellen besonders weich, damit sie dort besonders stark schwingen können. An diesen Stellen dämpfen wir die Schwingung gezielt mit einer kleinen Menge Sand oder Kies“, sagt Schoenwald. Das gleiche Material, nämlich der Kies, erfüllt hier einen völlig anderen Zweck: „Bei uns ist der Kies nicht zur Beschwerung da. Er soll sich statt­dessen bewegen und durch seine innere Reibung die Vibration in Wärme umwandeln.“ Das Ergebnis: Eine Holzdecke mit akus­tischen schwarzen Löchern ist wesentlich leichter als eine herkömmliche Decke und dämpft Trittschall dennoch deutlich besser. Die baulich vorteilhafte Steifigkeit der gesamten Decken­konstruktion bleibt dabei erhalten.

Nach Abschluss der Versuchs­reihen wollen die Wissen­schaftler nun noch ein Verfahren entwickeln, das automatisch die beste Anordnung und Form der akustischen schwarzen Löcher auf die gewünschte Boden­größe und -form aufzeigt. Das Einzige, was dann noch fehlt, ist ein Industrie­partner, der Interesse an der Produktion und dem Vertrieb von akustischen schwarzen Löchern für moderne Holzgebäude hat.

Empa / JOL

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