04.07.2022

Leichtere Simulation nichtlinearer Phänomene

Dichtefunktionaltheorie optimiert den Einsatz von Hochleistungscomputern.

Die meisten grundlegenden mathematischen Gleichungen, die elektronische Strukturen beschreiben, sind seit langem bekannt. Allerdings sind sie zu komplex, um sie in der Praxis zu lösen. Dies hat Fortschritte in der Physik, Chemie und den Material­wissenschaften erschwert. Dank moderner Hochleistungs­computercluster und der Etablierung der (DFT) hat sich die Lage zwar gebessert. Doch selbst mit diesen Werkzeugen sind die modellierten Prozesse in vielen Fällen noch stark vereinfacht. Jetzt ist es Physikern am Center for Advanced Systems Under­standing (CASUS) und dem Institut für Strahlenphysik am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf HZDR gelungen, die DFT-Methode deutlich zu verbessern. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für Experimente mit Ultrahoch­intensitätslasern.

Abb.: Die Erweiterung der theo­retischen Grundlagen trifft auf neue...
Abb.: Die Erweiterung der theo­retischen Grundlagen trifft auf neue Experimente wie sie zum Beispiel an der Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF) zu finden sind. (Bild: HZDR)

Tobias Dornheim, Zhandos Moldabekov und Jan Vorberger nehmen damit einer der grund­legendsten Heraus­forderungen unserer Zeit an: präzise zu beschreiben, wie Milliarden von Quantenteilchen wie etwa Elektronen miteinander wechselwirken. Denn die meisten Material­eigenschaften werden durch das komplexe quanten­mechanische Verhalten von wechselwirkenden Elektronen bestimmt. Die mathematischen Grund­gleichungen zur Beschreibung elektronischer Strukturen sind zwar im Prinzip seit langem bekannt, aber zu komplex, um sie tatsächlich lösen zu können. Daher ist das konkrete Verständnis von zum Beispiel raffiniert aufgebauten Materialien sehr begrenzt geblieben. Diese unbe­friedigende Situation hat sich mit dem Aufkommen moderner Hochleistungs­computercluster gewandelt, wodurch sich das neue Anwendungsgebiet der computergestützten Quanten-Vielteilchen­theorie eröffnet hat. Die DFT eignet sich insbesondere für die Beschreibung von Vielelektronen­systemen. Tatsächlich ist die Anzahl der auf DFT-Berechnungen beruhenden wissen­schaftlichen Veröffent­lichungen in den vergangenen zehn Jahren exponentiell gestiegen.

Viele der mit DFT berechneten Eigen­schaften werden im Rahmen der linearen Antworttheorie (linear response theory) ermittelt. Dieses Konzept wird auch in vielen Experimenten verwendet, bei denen die (lineare) Reaktion des betrachteten Systems auf eine äußere Störung, zum Beispiel einen Laser, gemessen wird. Auf diese Weise lässt sich das System beurteilen und wesentliche Parameter wie Dichte oder Temperatur können ermittelt werden. Die lineare Antworttheorie macht Experiment und Theorie oft überhaupt erst möglich und ist in der Physik und verwandten Disziplinen nahezu allgegen­wärtig. Dennoch basiert sie auf einer extremen Vereinfachung der Prozesse und stellt somit eine erhebliche Einschränkung dar.

Indem sie die DFT-Methode über den vereinfachten linearen Bereich hinaus erweitern, setzen die Wissenschaftler nun neue Maßstäbe. So können erstmals nicht­lineare Effekte wie Dichtewellen, Bremsvermögen und Struktur­faktoren berechnet und mit experi­mentellen Ergebnissen an echten Materialien verglichen werden. Bislang konnten diese nicht­linearen Effekte nur durch eine Reihe aufwendiger Berechnungsmethoden, den Quanten-Monte-Carlo-Simu­lationen, reproduziert werden. Diese Methoden liefern exakte Ergebnisse. Da sie aber eine hohe Rechenleistung erfordern, werden sie durch system­bedingte Parameter eingeschränkt. Daher bestand ein dringender Bedarf an schnelleren Simulations­methoden. „Der DFT-Ansatz, den wir in unserer Arbeit vorstellen, ist 1.000 bis 10.000 Mal schneller als die Quanten-Monte-Carlo-Berechnung“, sagt Zhandos Moldabekov. „Außerdem konnten wir für alle Temperatur­bereiche von Umgebungs­temperatur bis hin zu extremen Bedingungen nachweisen, dass dieser Geschwindig­keitsgewinn nicht zu Lasten der Genauigkeit geht. Die DFT-basierte Methodik des nichtlinearen Reaktions­verhaltens quanten­korrelierter Elektronen eröffnet die verlockende Möglichkeit, neue nichtlineare Phänomene in komplexen Materialien zu untersuchen.“

„Wir sehen, dass unsere neue Methodik sehr gut zu den Möglich­keiten moderner Experimentieranlagen wie der Helmholtz International Beamline for Extreme Fields passt, die erst kürzlich in Betrieb genommen wurde und vom HZDR mitbetrieben wird“, erklärt Jan Vorberger. „Mit Hochleistungslasern und Freie-Elektronen-Lasern können wir genau diese nicht­linearen Anregungen erzeugen, die wir jetzt theoretisch untersuchen können, und sie mit einer noch nie dagewesenen zeitlichen und räumlichen Auflösung erforschen. Theo­retische und experimentelle Werkzeuge stehen bereit, um neue Effekte in der Materie unter extremen Bedingungen zu untersuchen, die bisher nicht zugänglich waren.“

„Diese Arbeit ist ein gutes Beispiel für die Ausrichtung meiner kürzlich gegründeten Gruppe“, sagt Tobias Dornheim. „In den vergangenen Jahren waren wir vor allem in der Community der Hochenergie­dichte-Physik aktiv. Jetzt wollen wir die Grenzen der Wissenschaft erweitern, indem wir rechnerische Lösungen für Quanten-Viel­teilchen-Probleme in vielen verschiedenen Kontexten anbieten. Wir glauben, dass die vorgelegte Neuerung für die Theorie der elek­tronischen Struktur für Fachleute zahlreicher Wissenschafts­felder von Nutzen sein wird.“

HZDR / JOL

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