23.06.2020

Lichtinduzierte Reaktionen untersuchen

Birgitta Schultze-Bernhardt erhält den Start-Preis 2020 für die Entwicklung einer neuen Spektroskopiemethode.

Birgitta Schultze-Bernhardt erhält den bis zu 1,2 Millionen Euro dotierten Wissenschafts­preis für ihre Arbeit an einer neuen Messtechnologie, mit der UV-licht­induzierte chemische Prozesse mit noch nie dagewesenem Detailgrad zu untersucht werden können. Elektronische Finger­abdruck-Spektroskopie (ELFIS), nennt sich das neue Messverfahren, das Birgitta Schultze-Bernhardt nun im Rahmen des Start-Programms des Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF) weiterentwickeln möchte. Ziel ist es, lichtinduzierte chemische Reaktionen zu untersuchen, die zum Beispiel durch das ultraviolette Licht der Sonne in atmosphärischen Spurengasen ausgelöst werden. Das Verständnis über photo­chemische Prozesse in der Atmosphäre kann die Grundlage für erfolgreiche Maßnahmen gegen den Klimawandel sein. 
 

Abb.: Birgitta Schultze-Bernhardt will die elek­tronische...
Abb.: Birgitta Schultze-Bernhardt will die elek­tronische Finger­abdruck-Spektro­skopie (ELFIS) zur Anwendung im UV-Bereich weiter­entwickeln. (Bild: S. Hoffmann Fotografie)

Herzstück von ELFIS ist die Kombination zweier Frequenz­kämme. Ein optischer Frequenz­kamm entsteht, wenn ein Laser (meist im Infrarotbereich) in konstanten Abständen ultrakurze Laser­pulse mit gleichzeitig unterschiedlichen Frequenzen emittiert. Optisch ähnelt dieses Bild einem Kamm – jeder Zinken steht für eine optische Frequenz. Daher der Name „Frequenzkamm“. Erfunden wurde dieses Werkzeug von Theodor Hänsch, der dafür 2005 den Nobelpreis für Physik erhielt. 

Hänsch war Birgitta Schultze-Bernhardts Doktorvater und langjähriger Wegbegleiter am Max-Planck-Institut für Quanten­optik, wo Schultze-Bernhardt sich von 2006 bis 2012 intensiv mit der Dualkamm­spektroskopie beschäftigte. Bei diesem spektro­skopischen Verfahren werden die Frequenz­kämme durch eine Material­probe geschickt. Die Moleküle im Inneren des Materials absorbieren die Frequenzkammzinken unterschiedlich stark. Das Ergebnis ist eine Art Fingerabdruck, der Aufschluss gibt über die chemischen Komponenten der Probe und ihre optischen Eigenschaften. Die Dual­kamm­spektroskopie wächst gerade zu einem der populärsten Laser­mess­verfahren heran, weil sich damit die Schwingungen und Rotationen der Moleküle im infraroten Spektral­bereich gut messen lassen.

ELFIS soll solche Beobachtungen zukünftig auch im UV-Bereich möglich machen, da die Frequenzen in diesem Spektrum nicht nur Molekülschwingungen, sondern auch Elektronen anregen. „Und Elektronen sind maßgebend für jede chemische Bindung“, erklärt Schultze-Bernhardt. Allerdings bräuchte es für solche Unter­suchungen einen Laser, der direkt im UV-Bereich emittiert – und den gibt es noch nicht. „Wir behelfen uns daher mit nicht­linearen Prozessen, um das Licht einer besonders starken Laserquelle in diesen hoch­energetischen Bereich zu verschieben und zwei UV-Frequenz­kämme zu erzeugen. Mit anderen Worten: Wir wandeln infrarotes Licht in ultra­violettes Licht um“, so Schultze-Bernhardt. Erste Versuche dazu waren bereits erfolgreich. 

Die Forscherin, die seit Mai 2019 am Institut für Experimental­physik sowie am Institut für Material­physik der TU Graz forscht und zuvor die Nachwuchs­gruppe „Ultraviolette Dual­kamm­spektroskopie“ am Institut für Angewandte Physik der Friedrich-Schiller-Universität Jena leitete, möchte mit Hilfe des Start-Preises nun Schritt für Schritt den UV-Bereich „erobern“. In einer ersten Phase entwickelt die Forscher­gruppe gerade ein Spektrometer, das im sichtbaren (grünen) Spektral­bereich funktioniert und Spurengase wie Stickstoff­dioxid erfassen kann. Schon innerhalb eines Jahres könnte schließlich ein Spektrometer im nahen UV-Spektral­bereich realistisch sein. Am Ende des Stufenplans erhofft sich Schultze-Bernhardt ein Spektrometer, „mit dem wir licht­induzierte Prozesse in einem breiten Spektralbereich, in Echtzeit mit gleichzeitig hoher spektraler und hoher zeitlicher Auflösung ansehen können.“

Die Start-Auszeichnung zählt zu den höchst­dotierten und anerkanntesten Wissenschafts­preisen Österreichs und wird einmal pro Jahr vom Fonds zur Förderung der wissen­schaftlichen Forschung (FWF) vergeben. Der Preis ist mit 800.000 bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und soll jungen Spitzen­forschern die Möglichkeit geben, ihre Forschungen in den nächsten sechs Jahren finanziell weitgehend abgesichert zu planen. 

Birgitta Schultze-Bernhardt (geboren 1981 in Erlangen, Deutschland) ist Forscherin am Institut für Experimental­physik sowie am Institut für Materialphysik der TU Graz. Sie ist Teil des dreijährigen Leading Women Programms an der TU Graz – einer Karriereinitiative, die Dozentinnen der TU Graz auf zukünftige Führungs­positionen im Universitäts­management vorbereitet. Schultze-Bernhardt beschäftigt sich intensiv mit Laser­technologien zur Messung licht­induzierter Prozesse und hat an der Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität in München und am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching unter Physik-Nobel­preisträger Theodor W. Hänsch promoviert.

TU Graz / DE
 

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