Magische kolloidale Cluster
Komplexe Strukturen entstehen durch Selbstorganisation von Partikeln.
Komplexität in der Natur entsteht häufig durch Selbstorganisation und gilt als besonders robust. Von praktischer Bedeutung zeigen sich Cluster, kompakte Ansammlungen elementarer Partikel, die als Atomkerne, Nanoteilchen oder Viren vorkommen. Jetzt entschlüsselte ein interdisziplinäres Forscherteam um Nicolas Vogel und Michael Engel von der Uni Erlangen-Nürnberg die Struktur und den Bildungsprozess einer Klasse dieser hochgeordneten Cluster.
Als Cluster bezeichnen Physiker eine eigene Materieform, die im Übergangsbereich zwischen isolierten Atomen und ausgedehnten Festkörpern oder Flüssigkeiten angesiedelt ist. Die „magischen Cluster“ gehen ursprünglich auf Arbeiten von Eugene Wigner, Maria Göppert-Mayer und Hans Jensen zurück, die mit dieser Theorie die Stabilität von Atomkernen erklären konnten und dafür im Jahr 1963 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurden. „Bisher ging man in der Wissenschaft davon aus, dass der Effekt ausschließlich durch die Anziehung von Atomen zustande kommt“, sagt Vogel. „Unsere Forschungen belegen nun, wie auch Partikel, die sich nicht anziehen, solche Strukturen bilden. Damit trägt die Publikation zum Verständnis von Strukturbildungen von Clustern ganz generell bei.“
Erster Schritt der Wissenschaftler war die Synthese kolloidaler Cluster, die sehr klein sind und in einem mehrstufigen Prozess entstehen. „Zunächst verdampft Wasser aus einem Emulsionstropfen und die Polymerkugeln werden zusammengeschoben. Danach bilden sie im Laufe der Zeit immer gleichmäßigere kugelförmige Cluster und beginnen zu kristallisieren. Mehrere tausend Einzelteilchen finden dabei – und das ist das Bemerkenswerte – von selbst ihre ideale Position in einer präzisen hochsymmetrischen Struktur, bei der alle Partikel auf vorhersagbaren Plätzen sitzen“, erläutert Vogel.
Die Forscher fanden mehr als 25 verschiedene magische kolloidale Cluster in verschiedenen Typen und Größen und arbeiteten vier unterschiedliche Cluster-Morphologien heraus: Mit der schnellsten Verdampfung bilden sich verbeulte Cluster, da sich die Tröpfchengrenzfläche schneller bewegt als sich kolloidale Partikel verfestigen können. Wenn die Verdampfungsrate gesenkt wird, dominieren kugelförmige Cluster. Sphärische Cluster weisen eine gleichmäßig gekrümmte Oberfläche mit nur schwacher Kristallordnung auf. Zudem bilden sich mit weiter abnehmender Verdampfungsrate Cluster mit ikosaedrischer Symmetrie heraus. Diese Cluster sind besonders hochsymmetrisch und weisen viele zwei-, drei- und fünffache Symmetrieachsen auf.
In einem weiteren Schritt führten die Forscher Simulationen und hochgenaue numerische Berechnungen durch. Die Analyse belegten, dass Cluster, deren Zahl der Bausteine identisch mit einer magischen Zahl ist, erhöhte Stabilität aufweisen – wie von der Theorie vorhergesagt. Das Vorkommen der beobachteten ikosaedrischen Cluster ist wohlbekannt für Viren und ultrakleine Metallcluster, konnte aber bisher nicht direkt untersucht werden. Die aktuellen Ergebnisse liefern daher erstmalig ein detailliertes und systematisches Verständnis der Ausbildung solcher magischen Cluster im untersuchten Modellsystem und erlauben Rückschlüsse auf andere natürliche Systeme, die zur Clusterbildung neigen.
FAU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Wang et al.: Magic number colloidal clusters as minimum free energy structures, Nat. Commun. 9, 5259 (2018); DOI: 10.1038/s41467-018-07600-4 - Self-assembled materials and structures (N. Vogel), Lehrstuhl für Feststoff- und Grenzflächenverfahrenstechnik, Dept. für Chemie und Bioingenieurwesen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- Modelling of Self-Organization Processes (M. Engel), Dept. für Chemie und Bioingenieurwesen, Lehrstuhl für Multiskalensimulation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- Institut für Mikro- und Nanostrukturforschung (E. Spieker), Dept. Für Werkstoffwissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg