12.10.2016

Magnetantrieb für Mikroroboter

Weiche Materialien könnten als Motoren für winzige Schwimmkörper dienen.

Mikro­roboter könnten einmal nach dem Vorbild von Spermien oder Pantoffel­tierchen durch den menschlichen Körper schwimmen und dort medi­zinische Dienste verrichten. Forscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart haben dazu magne­tisierbare Gummi­streifen entwickelt, die im Magnetfeld die Schwimm­bewegungen natürlicher Geißeln, Zilien oder Tentakeln imitieren. Über ein eigens entwickeltes Computer­programm haben die Forscher dabei erstmals für jede Bewegungsform die jeweils optimalen magne­tischen Rahmen­bedingungen vorausberechnen können. Weitere Einsatz­gebiete für das kontrol­lierte Verformen kleiner Bauteile sehen die Stuttgarter unter anderem in der Mikro­verfahrens­technik, bei der chemische und physi­kalische Prozesse in sehr kleinem Maßstab ausgeführt werden.

Abb.: Magnetische Zilien und Tentakeln: Mit winzigen Silikonstreifen, die auf ausgeklügelte Weise mit magnetischen Partikeln versehen sind, lassen sich Roboter durch ein äußeres Magnetfeld fortbewegen wie Quallen, Bakterien oder Spermien. (Bild: P. Loubere)

Um voranzukommen, ist ein Spermium mit einem schwanz­artigen Fortsatz ausgestattet. Diese Geißel wedelt unaufhörlich hin und her – und treibt die männliche Samenzelle so an. Forscher vom Stuttgarter Max-Planck-Institut für Intel­ligente System ermöglichen es nun, dass sich ein hauch­dünner und nur wenige Millimeter langer Streifen aus Silikon­gummi nach einem ganz ähnlichen Muster bewegt. Dazu mischten sie dem elastischen Gummi Partikel einer magne­tisierbaren Neodym-Eisen-Bor-Verbindung bei. Über ein von außen angelegtes Magnetfeld konnten sie danach die Form des Gummistreifens gezielt variieren – und diesen zum wellen­förmigen hin und her Schlagen bringen.

Auf ganz ähnliche Weise gelang es den Wissen­schaftlern auch, die komplexe Ruderbewegung einer Zilie zu imitieren. Zilien sind extrem feine Härchen, die sich beispiels­weise auf der Oberfläche von Pantoffel­tierchen befinden – und diese mit ihren hochkomplexen Ruder­schlägen antreiben. Außerdem bauten die Forscher noch eine Art künstliche Qualle mit zwei Silikon­tentakeln. Auch diese Gummi­tentakel ließen sie per Magnetfeld ruderartige Schwimm­bewegungen ausführen. Mikroroboter durch solche magne­tisierten künstlichen Zilien und Tentakeln gewissermaßen indirekt anzutreiben ist effektiver als winzige Schwimm­körper mit magne­tischen Partikeln zu versehen und mit einem äußeren Magnetfeld direkt durch eine Flüssigkeit zu bewegen, wie Material­wissen­schaftler festgestellt haben.

Damit die Bewegungs­abläufe der biolo­gischen Vorbilder auch bei einem künst­lichen Schwimm­körper funktionieren, war das Zusammen­spiel mit dem äußeren Magnetfeld: Die einzelnen Bereiche der Gummi­streifen müssen darauf unter­schiedlich reagieren. Manche Zonen müssen angezogen, andere abgestoßen werden. Andern­falls könnten sich die Streifen zum Beispiel nicht zu einer Welle verformen oder an einem ihrer Enden ansatzweise aufrollen lassen. Um die verschiedenen Bewegungen zu ermöglichen, nutzten die Forscher zwei Stellschrauben. „Zum einen haben wir die Dichte der magne­tisierbaren Partikel entlang des Silikon­streifens variiert und zum anderen die magne­tische Ausrichtung dieser Partikel“, erklärt Guo Zhan Lum, Wissen­schaftler in der Abteilung „Physische Intelligenz“ am Stuttgarter Max-Planck-Institut. Die lokale Konzen­tration der Partikel steuerten die Forscher direkt über den Herstell­prozess. Um den magne­tischen Dipolen der Teilchen die gewünschte Ausrichtung zu geben, setzten sie das gesamte Gummi anschließend einem starken Magnetfeld aus.

Da sich in einem gleich­förmigen Magnetfeld alle Teilchen gleich orientieren, womit beim flachen Gummi­streifen nichts gewonnen gewesen wäre, wandten die Wissenschaftler noch einen Trick an: „Indem wir den Gummi­streifen zunächst gezielt verformt haben, konnten wir die endgültige Aus­richtung der einzelnen magne­tischen Dipole sehr genau steuern“, erklärt Lum. Zwar richteten sich auch jetzt alle magnetischen Dipole im Magnetfeld parallel aus. Brachte man das Gummi danach aber wieder in die flache Ausgangs­form, wiesen diese Dipole entlang des Gummi­streifens jeweils in die für die spätere Bewegungs­form benötigte Richtung.

Von da an arbeiteten die Forscher mit einem schwächeren Magnet­feld weiter, das die Orientierung der magne­tisierten Partikel nicht mehr veränderte. In diesem Feld wurden nun manche Bereiche entlang eines Gummi­streifens angezogen, andere abge­stoßen – und das Gummi verformte sich entsprechend. Indem sie die Stärke und Richtung des Feldes mit der Zeit variierten, ließen die Forscher die Streifen die jeweiligen komplexen Bewegungs­zyklen durchlaufen.

„Ein wesent­licher Erfolg unserer Arbeit besteht darin, dass wir für ein gewünschtes Bewegungs­muster die jeweils optimale Magne­tisierung sowie die optimalen Eigen­schaften des Magnetfelds berechnen können“, sagt Metin Sitti, Direktor am Max-Planck-Institut für Intel­ligente Systeme. Zu diesem Zweck haben er und seine Mitarbeiter aus der Gruppe „Physische Intelligenz“ den Bewegungs­mechanismus mit einem mathe­matischen Modell beschrieben und ein entsprechendes Computer­programm entwickelt. Eine Weltpremiere. Bis dahin waren Wissen­schaftler auf Intuition und Abschät­zungen angewiesen, um die magnetischen Rahmen­bedingungen festzulegen.

Weiche Materialien wie Silikon­gummi gezielt und reversibel zu verformen, könnte aus Sicht der Stuttgarter Wissen­schaftler für eine Reihe von Einsatzgebieten interessant sein. Metin Sitti kann sich vorstellen, dass etwa die genannten Schwimm­bewegungen eines Tages zum Beispiel Anwendungen in der Medizin erlauben. So ließen sich eventuell Mikro­roboter per Magnetfeld so dirigieren, dass sie Wirkstoff­moleküle oder medi­zinisches Gerät an einen gewünschten Ort im Körper bringen. Die Forscher sehen aber nicht nur Einsatz­möglichkeiten im Mini-Transportwesen. Dass sich die Form von Materialien in Sekunden­bruchteilen per Magnetfeld kontrolliert regulieren lässt, könne überall dort zum Einsatz kommen, wo auf kleinem Raum etwas geschaltet oder mechanisch angesteuert werden muss. Auch in der Mikro­verfahrens­technik könne die Technik zum Tragen kommen. Zum Beispiel bei der Steuerung von Mikro­pumpen, wie sie für Lab-on-a-Chip-Techno­logien benötigt werden. „Wir hoffen, dass das program­mierbare Verformen weicher Materia­lien Forscher in vielen Bereichen zu einem breiten Spektrum möglicher Anwendungen inspiriert“, sagt Metin Sitti.

MPG / JOL

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