Mehr Freiheit für die Hochschulen!
Ein Plädoyer für die Finanzierung der Lehre durch die Hand der Studierenden
Physik Journal – Ein Plädoyer für die Finanzierung der Lehre durch die Hand der Studierenden
Gemeinsam mit vielen anderen Vertretern der Wirtschaft sehe ich dringenden Handlungsbedarf in unserem Hochschulsystem. Es gibt in Deutschland für die Aufgaben der Zukunft nicht genügend qualifizierten Nachwuchs. Um die Qualität der Ausbildung zu verbessern, plädiere ich für mehr Wettbewerb der Hochschulen untereinander. Im Mittelpunkt stehen dabei die Studierenden. Sie sollen eine neue Rolle bei der Bildungsfinanzierung erhalten.
Wo stehen wir heute? Unter den 17 führenden Industrienationen erreichte Deutschland 2009 in Sachen Bildung nur einen enttäuschenden 12. Platz. Dies hat die jüngste Ausgabe des Innovationsindikators ermittelt, den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Deutsche Telekom Stiftung gemeinsam herausgeben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns aus dieser inakzeptablen Position nur durch mehr Wettbewerb befreien können.
Abb.: Meinung von Dieter Kurz, Vorsitzender des Vorstands der Carl Zeiss AG
Selbstverständlich brauchen die Hochschulen einen verlässlichen Mindest-Finanzrahmen auf international vergleichbarem Niveau – also öffentliche Mittel. Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Deutschland gibt nach aktuellen Studien 1,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt – rund 26 Milliarden Euro – für Hochschulbildung aus. Dies sind 0,3 Prozentpunkte weniger als der Schnitt der OECD-Länder. Um in diesem Umfeld wettbewerbsfähig zu sein, müssten wir jährlich zehn Milliarden Euro mehr einsetzen. Das würde sich auch wirtschaftlich rechnen, denn Investitionen in Bildung bringen hohe Renditen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor kurzem erst wieder in einer Studie gezeigt hat.
Um diese Mittel optimal einzusetzen, sollte die Entscheidung über ihre Verteilung in die Hände der Studierenden gelegt werden. Dadurch wird die Qualität der Lehre zwangsläufig steigen. Ich schlage vor, dass der Staat den Studenten über Bildungsgutscheine, Studienkonten oder andere Verfahren die erforderlichen Mittel für das jeweilige Studienfach in die Hand gibt. So wird die Hochschule von denen bezahlt, die ihre Leistung am besten bewerten können. Wer selbst die Rechnung für das von ihm genutzte Lehrangebot erhält, wird dafür auch den optimalen Gegenwert einfordern.
Es ist allerdings möglich, dass die Ausbildung an der besten Hochschule mehr kostet als der Student vom Staat erhält. Dann bieten sich zwei Alternativen: Der Student kann sich eine andere Universität suchen – oder selbst etwas beitragen. Die Herausforderung für die Hochschulen ist es, Preis und Leistungsangebot so einzurichten, dass sie genügend Studenten mit dem passenden Profil bekommen.
Nicht wenigen talentierten jungen Menschen fehlen die privaten Mittel für ein Studium. Die Gesellschaft darf diese Talente aber nicht ungenutzt lassen. Deshalb sind parallel die Stipendien und Darlehensmöglichkeiten auszubauen. Sonst funktioniert das Ganze nicht.
Eine auf Wettbewerb ausgerichtete Hochschule benötigt Hochschullehrer, die selbst im Wettbewerb stehen und leistungsorientiert bezahlt werden. Deshalb müssen die Hochschulen die Freiheit haben, die leistungsabhängige Entlohnung konsequent anzuwenden und auszubauen.
Eine exzellente Hochschule braucht nicht nur ein attraktives Angebot in der Lehre, sondern auch eine exzellente Forschung. Nur so kann sie ihre „Kunden“ – die Studenten wie die Wirtschaft – für sich gewinnen. Sie braucht die Freiheit, diese Forschung so zu gestalten, dass sie auch für die besten Forscher attraktiv ist.
Ich plädiere für freien Wettbewerb zwischen den Hochschulen auch über die Ländergrenzen hinweg. Wenn eine Abiturientin aus Bayern z. B. zum Studium nach Berlin geht, dann sollte das Land Bayern dieser Studentin den Studienplatz in Berlin finanzieren. Je mehr Studenten eine Universität also anzieht, desto mehr Gelder muss sie bekommen. Wenn die öffentlichen Gelder für das Studium die Grenzen der Bundesländer in dieser Form überschreiten, gewinnen die Hochschulen ein Höchstmaß an Eigenständigkeit und Gestaltungsfreiheit. Denn wer sein Geld im Wettbewerb erwirbt, entscheidet selbst über seine Produkte und Preise, über Personal und Besoldung, Kapazitäten und Investitionen.
In einem solchen Zukunftskonzept für die Hochschule reguliert der Wettbewerb die Preise und die Qualität des Angebots. Damit gewinnt die Hochschullandschaft deutlich an Dynamik. Die Hochschulen sind freier und können flexibel auf Marktbedingungen reagieren. So können und werden sie die Innovationskraft unserer Gesellschaft stärken. Der sichtbare Erfolg mancher privater Hochschulen zeigt, dass dieses Prinzip auch in der Bildung funktioniert. Daran muss sich ein modernes Hochschulsystem für eine Wissensgesellschaft messen lassen.
Dieter Kurz
Quelle: Physik Journal, Mai 2010, S. 3
AH