Metallschmelzen in der Schwerelosigkeit
Forschungsrakete MAXUS-9 startete in Schwerden mit Experimenten zur Materialphysik und Biologie.
Bereits zum zehnten Mal und sieben Jahre nach dem letzten Start einer MAXUS-Rakete startete am 7. April 2017 die Forschungsrakete MAXUS-9 der europäischen Weltraumorganisation ESA von der nordschwedischen Startanlage Esrange bei Kiruna. Nach knapp 12 Minuten in der Schwerelosigkeit landete die Nutzlast der Rakete wieder sicher mit einem Fallschirm und wurde vom Missionsteam geborgen. Mit Erreichen der Schwerelosigkeitsphase wurden insgesamt fünf Experimente mit unterschiedlichem Schwerpunkt im Inneren der Nutzlast durchgeführt. Mit dabei waren auch drei deutsche Forschungsvorhaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), sowohl aus der Materialphysik (XRMON-Diff2 und GRADECET), als auch aus der Biologie (EuGraPho), die vom Raumfahrtmanagement des DLR und vom Kölner DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum gefördert wurden.
Abb.: Start der Forschungsrakete MAXUS-9 im schwedischen Esrange mit 600 Kilogramm Nutzlast. (Bild: DLR)
Im Rahmen des Projekts „In situ X-ray monitoring of advanced metallurgical processes under microgravity and terrestrial conditions (XRMON)“, das von der europäischen Weltraumorganisation ESA im Rahmen des Microgravity Application Promotion (MAP) Programmes gefördert wird, fand das Experiment XRMON-Diff2 statt. Zusammen mit der Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung BAM untersucht das DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum dabei werkstoffphysikalische Phänomene an Metallschmelzen in der Schwerelosigkeit: Mit Hilfe von Röntgenradiographie können Erkenntnisse über metallurgische Prozesse in Metallschmelzen in Echtzeit gewonnen werden.
Während des Fluges auf MAXUS-9 wurden Experimente an geschmolzenen Legierungen aus Germanium-Silizium und aus Aluminium-Titan bei bis zu 1550 Grad Celsius durchgeführt. Dabei vermischten sich die Schmelzen miteinander und das ohne den störenden Einfluss der Auftriebskonvektion. Die Auftriebskonvektion tritt in Gasen oder Flüssigkeiten unter Einwirkung der Schwerkraft auf: Die leichten Moleküle steigen nach oben, die schweren sinken nach unten. Die wissenschaftliche Herausforderung im Experiment besteht darin, die Diffusion ohne Einfluss der Auftriebskonvektion zu beobachten.
Ein weiteres Experiment, das versucht den gleichen physikalischen Effekt zu unterdrücken, ist GRADECET (GRAvity Dependence of Columnar to Equiaxed Transition in peritectic Ti-Al alloys). Wissenschaftler des Access e.V. in Aachen und weitere europäische Kooperationspartner widmen sich dabei besonders der Erstarrung von Titan-Aluminiden. Die Proben werden erhitzt und bei der anschließenden kontrollierten Abkühlung erstarren diese wieder. Dabei ergeben sie, je nach den anliegenden Abkühlbedingungen, ein charakteristisches Erstarrungsbild. Das DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum unterstützt das Projekt mit Ergebnissen aus dem Experiment XRMON-Diff2.
„Für Versuche auf der Erde ist es wichtig zu wissen, wie der Transport von Atomen in der Metallschmelze und der Erstarrungsvorgang der Schmelze zum Beispiel im Gussprozess ohne Störeinflüsse abläuft.", erklärt Florian Kargl, wissenschaftlicher Verantwortlicher auf DLR-Seite. „Die Ergebnisse des Experiments in der Schwerelosigkeit werden uns wichtige Parameter liefern, aus denen wir dann grundlegende Materialdaten für die Schmelze der beiden Stoffe gewinnen können.“ Mit diesen Daten können Modelle verbessert werden, die heutige Simulationsprogramme zum Beispiel für die Vorausberechnung der Mikrostrukturbildung beim Erstarren verwenden. Daraus können dann Informationen über die Eigenschaften der entstehenden Legierung gezogen werden, die wichtig für die weitere Verwendung sind. Metalllegierungen werden in der Industrie in vielen verschiedenen Bereichen genutzt, wie zum Beispiel in der Fertigung von Turbinen-Schaufeln. Ein besseres Wissen über die Materialeigenschaft führt folglich auch zu einem stabileren und sicheren Endprodukt.
Jede Sekunde empfängt und verarbeitet – bewusst und unbewusst – der Mensch unterschiedliche Reize. Die molekulare Grundlage dieser Reizverarbeitung steht im Zentrum des EuGraPho-Experiments (Euglena gracilis Gravitaxis und Phototaxis Experiment) von Wissenschaftlern der Universität Erlangen. Um untersuchen zu können, was in einem Organismus bei gleichzeitiger Einwirkung mehrerer Reize passiert, schickten die Wissenschaftler den grünen, beweglichen Einzeller Euglena gracilis in die Schwerelosigkeit. Dieser dient schon seit geraumer Zeit als Modellsystem für Licht- und Schwerkraftwahrnehmung. Die Zellen nutzen beide Reize, um Positionen in ihrer Umgebung zu finden, die optimal für ihr Wachstum sind. Die Reaktionen auf Licht und auf Schwerkraft sind einzeln recht gut untersucht. In der Natur müssen beide Faktoren jedoch miteinander verbunden werden, um zu einer sinnvollen Antwort für den Organismus zu kommen.
Für das Experiment an Bord der MAXUS-9-Rakete wurden Kulturen der Zellen auf zwei Zentrifugen mikroskopisch beobachtet, während die Zellen in der Schwerelosigkeit mit Blaulicht beleuchtet und gleichzeitig, durch die Rotation der Zentrifuge erzeugt, unterschiedlichen Beschleunigungen ausgesetzt werden. Die Zellen in einer der beiden Zentrifugen werden jedoch nach kurzer Zeit chemisch konserviert. Nach Rückkehr der Nutzlast auf die Erde können dann beide Proben miteinander verglichen werden. Auf der Erde, unter dem Einfluss der Schwerkraft, ist so ein Experiment nicht möglich.
DLR / JOL