Mikrokugeln mit Schwarmverhalten
Kollektive Bewegungen lassen sich allein durch Kollisionen und hydrodynamische Effekte erklären.
Bei Fischen, Vögeln oder Ameisen wird eine noch nicht vollends geklärte Schwarmintelligenz für die beeindruckenden, kollektiven Bewegungen verantwortlich gemacht. In der unbelebten Welt dagegen reichen einfache physikalische Zusammenhänge aus, um große Partikelmengen in eine gleichförmige und gerichtete Bewegung zu versetzen. Ein französisches Forscherteam von mehreren Universitäten in Paris konnte nun diese Schwarmbildung bei Abertausenden von Mikrokügelchen im Detail verfolgen und gezielt beeinflussen. Die dabei beobachtete Selbstorganisation könnte zu besseren Erklärungen von Windwirbeln oder gar Mikrobenschwärmen führen.
Abb.: Mit zunehmender Partikeldichte bilden sich aus rotierenden Mikrokügelchen selbst organisierte Schwärme aus, bei denen alle Partikel gleich schnell in eine Richtung strömen. (Bild: D. Bartolo, A. Bricard & N. Desreumaux)
„Wir konnten zeigen, dass Partikel auch ohne Fähigkeiten zur Wahrnehmung und Kommunikation sich spontan organisieren und in die gleiche Richtung bewegen können“, sagt Denis Bartolo von der École Supérieure of Industrial Physics and Chemistry (ESPCI). Als wesentlicher Parameter zeigte sich allein die Dichte der Partikel. Zusammen mit seinen Kollegen nutzten Bartolo und seine Kollegen einen fast vergessenen, physikalischen Effekt, den der deutsche Physiker Georg Quincke bereits 1896 entdeckt hatte. Nichtleitende Partikel beginnen demnach in einer Flüssigkeit unter der Einwirkung eines elektrischen Feldes zu rotieren.
Abertausende von zwei bis fünf Mikrometer kleine Kügelchen aus Polymethylmethacrylat (PMMA) versetzten die Forscher in sogenannte Quincke-Rotationen. Dazu verteilten sie die Partikel in einer Hexadecan-Lösung und ließen ein elektrisches Feld auf diese Mischung wirken. Wegen instabiler Ladungsverteilungen auf den Oberflächen der Mikrokugeln begannen diese zu rotieren. Parallel beobachteten die Wissenschaftler das Verhalten der rotierenden Mikrokugeln unter dem Mikroskop und mit einer Hochgeschwindigkeitskamera.
Waren nur wenige Kügelchen in der Flüssigkeit verteilt, bewegten sie sich wie Moleküle in einem Gas wirr und ungeordnet in verschiedene Richtungen durcheinander. Doch dieses Verhalten änderte sich mit zunehmender Kugeldichte. Je mehr Kugeln sich durcheinander bewegten, desto häufiger stießen sie zusammen. Nach und nach bildete sich eine kollektive Bewegung aus, bei der sich alle Kugeln in eine Richtung bewegten. Dieses Übergangsstadium der Selbstorganisation bezeichneten die Forscher als polares Band. Befanden sich noch mehr Mikrokugeln in der gleichen Menge Flüssigkeit, ergab sich ein geordneter Partikelstrom, in dem alle Kugeln mit gleicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung strebten. Diese Schwarmphase nannten sie polare Flüssigkeit. Zusätzlich zu den Kollisionen der Teilchen machten Bartolo und Kollegen dafür hydrodynamische Wechselwirkungen zwischen den Partikeln und der Flüssigkeit verantwortlich.
Diese Experimente belegen, dass sich kleine Partikel ganz ohne steuernde, äußere Parameter einem selbst organisierten Schwarm ausbilden können. Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen hoffen die Forscher nun, kollektive Bewegungen auch in anderen Systemen besser erklären zu können. Bei der Bildung von Mikrobenschwärmen und Windböen könnten sich durchaus Zusammenhänge ergeben. Doch ob Vogelschwärme oder Menschenmengen ebenfalls diesen einfachen Prinzipien für eine Selbstorganisation zumindest teilweise folgen, müssten weitere Analysen erst belegen.
Jan Oliver Löfken
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