Nach Mars jetzt Venus
Nach dem erfolgreichen Flug des «Mars Express» zum Mars steuert die europäische Raumfahrt jetzt die Venus an.
Nach Mars jetzt Venus
Paris (dpa) - Nach dem erfolgreichen Flug des «Mars Express» zu dem kühlen Roten Planeten steuert die europäische Raumfahrt jetzt heißere Gefilde des Sonnensystems an. Und wieder ist es eine Premiere, denn der «Venus Express» mit seinen sieben Instrumenten an Bord ist Europas erster Besucher bei dem wolkenverhangenen Nachbarn. An den jüngsten Vorstoß der Alten Welt in der Planeten-Erforschung knüpfen die Wissenschaftler höchste Erwartungen: Die Radar-Erkundung der «Magellan»-Sonde Anfang der 90er Jahre ausgenommen, werde die Sonde «das Zehnfache der Daten aller bisherigen Flüge liefern», verspricht Hakan Svedhem, der bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) für die wissenschaftliche Auswertung des Fluges zur Venus verantwortlich ist.
«Zu geringsten Kosten in Rekordzeit gebaut», wurde die 1,27 Tonnen wiegende Raumsonde Anfang August mit einem Flugzeug ins kasachische Baikonur gebracht. Am kommenden Mittwochmorgen soll «Venus Express» von einer Sojus/Fregat-Rakete ins All gehievt werden - und nach dem Absturz des europäischen Umweltsatelliten «Cryosat» am 8. Oktober kurz nach dem Start dürften die Verantwortlichen recht nervös sein.
«Europa lüftet den Schleier der Venus», so hoffen die ESA und der Sonden-Bauer von EADS Astrium. Das wird vom 6. April 2006 an der Fall sein, sofern alles nach Plan läuft und die 220 Millionen Euro teure Sonde das sonnennahe «Treibhaus Venus» nach fünf Monaten erreicht.
Gibt es auf der höllisch heißen Venus Erdbeben oder sogar noch aktive Vulkane, und warum sind Venus und Erde bei ziemlich ähnlicher Größe, Masse und Dichte derart unterschiedlich? Vor allem aber: Welche Rolle spielen Kohlendioxid sowie Treibhauseffekt für unseren nächsten Nachbarn, der die Sonne etwas dichter umkreist als der Planet Erde?
Die Wissenschaftler haben also eine Menge Fragen, die durchaus auch für den Heimatplaneten wichtig sind. Die Europäer sind die einzigen, die in diesen Jahren Weltall-Erkunder zu allen Planeten des inneren Sonnensystems entsenden. Zunächst war es der erfolgreiche «Mars Express», und nach der Venus soll etwa 2012 dann «Bepi-Colombo» zu dem sonnennächsten Planeten Merkur folgen. Ein ehrgeiziges Programm.
Der erste Flug der Europäer zur Venus stand allerdings wegen erheblicher Sparmaßnahmen bei der ESA eine Zeit lang in den Sternen. Doch die Reise musste dann doch nicht storniert werden, weil auf die Instrumente des Kometenjägers «Rosetta» und auf das Design des «Mars Express» zurückgegriffen werden konnte. Drei Instrumente an Bord sind baugleich mit denen von «Rosetta», andere stammen vom «Mars Express».
Die Messgeräte sollen Wolken, Nebel und die Windgeschwindigkeit der Venusatmosphäre genauer untersuchen. Dann geht es um die chemische Zusammensetzung und die Geologie des heißen Nachbarplaneten der Erde - mittlere Oberflächentemperatur 470 Grad. Die Sonde darf der Gluthitze über den ausgedörrten Steinwüsten mit den tiefen Tälern nicht zu nahe kommen. Neu und deutsch ist die Weitwinkelkamera VMC, ein Werk des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (Lindau). Und Experten der Münchner Bundeswehrhochschule wollen Atmosphäre und Oberfläche der Venus mit ihrem Radiowellen-Gerät «Vera» erforschen.
Landen kann der «Venus Express» nicht. Auch wenn die sowjetische «Venera 9» nach dem Scheitern mehrerer Landekapseln 1982 weich auf der Venus niederging und dann erste Panoramabilder von der Oberfläche funkte - auf dem unwirtlichen Planeten hielten Sonden immer nur kurz den extremen Bedingungen stand. Die unter einem dichten Wolkenschleier aus Schwefelsäuretröpfchen herrschenden Temperaturen von bis zu 480 Grad Celsius übertreffen die Sommerhitze im südfranzösischen Toulouse um das Zehnfache. Und der Druck in diesem Treibhaus ist mit bis zu 93 Bar so enorm hoch wie in nahezu 1000 Metern Wassertiefe.
Weil die «Göttin der Liebe» ein superheißer Planet ist, auf dem manche Metalle und Legierungen sogar schmelzen würden, umrundet die Sonde den Nachbarn auf einer elliptischen Bahn über den Polen und mit dem gebührenden Abstand von 250 Kilometern bis 66 000 Kilometern. Die Solarflügel müssen dabei so konstruiert sein, dass sie dramatischen Temperaturschwankungen von bis zu 350 Grad standhalten. Und das für eine Beobachtungszeit von zwei Venustagen - also 486 Erdtage lang.
Hanns-Jochen Kaffsack, dpa
Chronologie: Raumsonden Richtung Venus
Schon in den frühen Jahren der Raumfahrt schickten Amerikaner und Russen Raumsonden zum Nachbarn der Erde. Die spektakulärsten der rund 30 Missionen seit 1961 waren:
14. Dezember 1962: Die US-Raumsonde «Mariner 2» passiert die Venus in 35 000 Kilometern Abstand und schickt Daten über die hohen Temperaturen, die dichte Wolkendecke sowie die Rotation. Die Sowjets waren 1961 unter anderem mit «Venera 1» («Venus 1») gescheitert. Die Sonde hatte zwar die Venus passiert, aber keine Signale gesendet.
1. März 1966: Die sowjetische Sonde «Venera 3» zerschellt auf der Oberfläche des Erdnachbarn. Sie übermittelt zwar ebenfalls keine Daten, doch ist «Venus 3» der erste von Menschenhand gefertigte Flugkörper, der einen fremden Planeten erreicht.
18. Oktober 1967: Mit «Venera 4» gelingt es den Sowjets, in die Atmosphäre der Venus einzudringen und bis zur Landung Signale zur Erde zu schicken.
15. Dezember 1970: «Venera 7» ist die erste Sonde, die unbeschädigt auf der Venusoberfläche und einem anderen Planeten landet. Die Kapsel sendet 23 Minuten lang Daten über Temperaturen und Atmosphärendichte.
22. Oktober 1975: «Venera 9» liefert das erste Panoramabild von der Venus. Die erfolgreiche sowjetische Serie lief noch bis 1983 («Venera 16»). Bei den Missionen 13 und 14 im März 1982 wurden Bodenproben in der Sonde analysiert und Farbfotos übertragen.
9. Dezember 1978: «Pioneer Venus 2» setzt fünf Messonden ab, die in die Gashülle der Venus eindringen und umfangreiche Daten übermitteln. Fünf Tage zuvor war «Pioneer Venus 1» in eine Umlaufbahn um die Venus eingeschwenkt, um ein Profil der Oberfläche zu zeichnen.
13. Juni 1985: Die sowjetische «Vega 2» passiert auf ihrem Weg zum Halleyschen Kometen die Venus und setzt wie vier Tage zuvor «Vega 1» eine Landekapsel ab.
11. Oktober 1994: Die US-Forschungssonde «Magellan» erreicht nach fünfjährigem Flug die Venus, um weite Teile des Planeten mit Radar abzutasten. Die bislang letzte Venussonde umkreist ihr Ziel mehr als 15 000 Mal und fertigt eine detaillierte Oberflächenkarte an.
Weitere Infos:
«Venus Express»-Homepage:
http://www.esa.int/science/venusexpress