12.08.2024

Nanoblick in den Computerchip

Röntgenstrahlen erlauben eine 3D-Rekordauflösung von nur vier Nanometern.

Seit 2010 entwickeln Forschende des Labors für Makro­moleküle und Bioimaging am Paul Scherrer Institut PSI Mikro­skopie-Methoden, um drei­dimensionale Abbildungen im Nanometer­bereich zu erzeugen. Nun ist einer Kollaboration mit der EPFL, der ETHZ und der University of Southern California dabei erstmals Aufnahmen hochmoderner Computerchips mit einer Auflösung von vier Nanometern gelungen – Weltrekord. Statt für Aufnahmen in diesem Größenbereich auf derzeit unmöglich herzustellende Linsen zu setzen, nutzten die Forschenden die Ptychografie: ein Computer­verfahren, das viele Einzelbilder zu einer hoch­auflösenden Abbildung vereint. Dank einer kürzeren Belichtungszeit und eines optimierten Algorithmus konnten sie ihren eigenen Weltrekord von 2017 deutlich übertreffen. Für ihre Experimente nutzten die Forschenden das Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS.

Abb.: Blick ins Innere eines Computerchips. Mit einem Ptychografieverfahren...
Abb.: Blick ins Innere eines Computerchips. Mit einem Ptychografieverfahren konnten die Forschenden die dreidimensionale Struktur exakt abbilden. Das Bild zeigt den schichtweisen Aufbau des Chips.
Quelle: T. Aidukas, PSI

Heutzutage ist es möglich, mehr als einhundert Millionen Transistoren pro Quadrat­millimeter in modernste integrierte Schaltkreise zu packen – Tendenz steigend. In Reinräumen werden mit hoch­automatisierten Optikanlagen die nanometer­großen Leiterbahnen in Silizium-Rohlinge geätzt. Schicht um Schicht wird auf- und wieder abgetragen, bis der fertige Chip herausgestanzt und verbaut werden kann. Was nach einer aufwendigen und komplizierten Produktion klingt, erweist sich in der Charak­terisierung und Abbildung der erzeugten Strukturen als genauso schwierig.

Zwar erlauben Rasterelektronen­mikroskope eine Auflösung von wenigen Nanometern und eignen sich daher gut, um die winzigen Transistoren und Metallverbindungen, aus denen die Schaltkreise bestehen, abzubilden. Allerdings lassen sich damit nur zwei­dimensionale Bilder der Oberfläche erzeugen. „Die Elektronen gelangen nicht tief genug ins Material“, erklärt Mirko Holler, Physiker an der SLS. „Um daraus drei­dimensionale Bilder zu rekonstruieren, muss der Chip schichtweise untersucht und dabei jede Schicht einzeln im Nanometer­bereich abgetragen werden – ein sehr aufwendiges und heikles Verfahren, und der Chip wird dabei zerstört.“

Dreidimensionale und zerstörungsfreie Aufnahmen lassen sich jedoch mit Röntgen­tomografie erzeugen, denn Röntgenstrahlen können Materialien deutlich besser durchdringen. Dieses Verfahren funktioniert ähnlich wie bei einer Tomografie­untersuchung im Spital. Die Probe wird dabei gedreht und aus verschiedenen Winkeln mit Röntgenlicht durchleuchtet. Je nach Struktur der Probe wird die Strahlung unterschiedlich absorbiert und gestreut. Ein Detektor registriert das austretende Licht und ein Algorithmus rekonstruiert daraus das fertige 3-D-Bild. „Hier haben wir das Problem mit der Auflösung“, erklärt Mirko Holler. „Es existieren derzeit keine Röntgen­linsen, die diese Strahlung für die Abbildung solch winziger Strukturen bündeln können.“

Die Lösung nennt sich Ptychografie. Bei diesem Verfahren wird der Röntgenstrahl nicht im Nanometer­bereich gebündelt, sondern die Probe wird im Nanometer­bereich verschoben. „Unsere Probe wird so bewegt, dass der Strahl einem genau vorgegebenen Raster folgen kann – ähnlich einem Sieb. An jedem Rasterpunkt wird dann jeweils ein Streubild aufgenommen“, erklärt der Physiker. Der Abstand zwischen den einzelnen Raster­punkten ist kleiner als der Durchmesser des Strahls, so dass sich die abgebildeten Bereiche überlappen. So kann genug Information registriert werden, um das das Bild der Probe mithilfe eines Algorithmus hochauflösend zu rekonstruieren. Der Rekonstruktions­prozess ist quasi eine Art virtuelle Linse. „Seit 2010 haben wir unseren Versuchsaufbau und die Positionier­genauigkeit der Proben stetig perfektioniert. 2017 gelang uns schließlich die räumliche Abbildung eines Computerchips mit einer Auflösung von 15 Nanometern – ein erster Rekord“, erinnert sich Holler. 

Trotz weiterer Optimierungen im Aufbau und im Algorithmus blieb die Auflösung in unserem Instrument seither konstant. „Wir verbesserten uns vielleicht noch um ein bis zwei Nanometer, aber danach war Schluss. Irgendetwas limitierte uns und wir mussten herausfinden, was das ist.“ 2021 begann die aufwendige Suche. Nebst Mirko Holler und Manuel Guizar-Sicairos, welche beide bereits am ersten Rekord beteiligt waren, stieß neu auch Tomas Aidukas hinzu. Der Physiker unterstützte das Team mit seinen programmier­technischen Erfahrungen und entwickelte den neuen Algorithmus, der später zum Durchbruch verhalf.

Einen ersten Anhaltspunkt fanden die Forschenden, als sie die Belichtungs­zeit reduzierten – plötzlich waren die Beugungsbilder schärfer. Daraus ließ sich folgern, dass womöglich der Röntgenstrahl nicht ebenmässig auf die Probe trifft, sondern eine winzige Bewegung vollführt – er wackelt. „Das ist analog zur Fotografie“, erklärt Guizar-Sicairos. „Wollen Sie in der Nacht ein Bild aufnehmen, so wählen Sie wegen der Dunkelheit eine lange Belichtungs­zeit. Wenn Sie das ohne Stativ machen, überträgt sich Ihre Bewegung auf die Kamera und das Bild wird verschwommen.“ Wählt man hingegen eine kurze Belichtungszeit, sodass das Licht schneller registriert wird, als wir uns bewegen, wird das Bild scharf. „Dann hat man jedoch das Problem, dass das Bild womöglich komplett schwarz oder verrauscht ist, weil in dieser kurzen Zeit fast kein Licht registriert werden kann.“

Ähnlich erging es den Forschenden. Zwar hatten sie nun scharfe Bilder, allerdings enthielten sie durch die kurze Belichtungs­zeit zu wenig Information, um den ganzen Computer­chip zu rekonstruieren. Um das Problem zu lösen, ergänzten die Forschenden ihr Set-up mit einem schnelleren Detektor. Damit nahmen sie pro Rasterpunkt viele Bilder mit einer kurzen Belichtungszeit auf. „Ein enormer Datenberg“, ergänzt Aidukas. Wenn man die Einzelbilder summiert und übereinander­legt, erhält man wieder das ursprüngliche, verschwommene Bild – äquivalent zur langen Belichtungs­zeit.

„Stellen Sie sich den Röntgen­strahl als einen Punkt auf der Probe vor. An diesem Punkt nehme ich nun ganz viele Einzelbilder auf“, erklärt Aidukas. Da der Strahl wackelt, wird sich jedes Bild leicht verändern. „In manchen Bildern stimmt die Position des Strahls überein, in anderen weicht sie ab. Anhand dieser Veränderungen können wir die tatsächliche Position des Strahls verfolgen, die durch die unbekannten Schwingungen verursacht wird.“ Als Nächstes gilt es, die Datenmenge zu reduzieren. „Unser Algorithmus vergleicht die Strahl­positionen der einzelnen Bilder. Wenn die Positionen übereinstimmen, kommen sie in dieselbe Gruppe und werden dort summiert.“ Dieses Gruppieren erhöht den Informations­gehalt der niedrig belichteten Bilder. So gelingt es den Forschern, aus der kurzbelichteten Bilderflut ein scharfes Ergebnis mit hohem Lichtanteil zu rekonstruieren.

Beim neuartigen Ptychografie­verfahren handelt es sich um einen grundlegenden Ansatz, welcher auch in vergleichbaren Forschungs­einrichtungen eingesetzt werden kann. Das Verfahren ist nicht nur auf Computerchips begrenzt, sondern kann auch für andere Proben beispielsweise in den Material- oder Bio­wissenschaften eingesetzt werden.

PSI / JOL

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