08.10.2021

Natur und Technik verbinden

Biohybridforschung an der Universität Bonn mit zwei neuen Argelander-Professorinnen verstärkt.

Künstlich geschaffene Bausteine mit natürlichen verbinden – das ist das Ziel zweier neuer Junior­professorinnen der Universität Bonn. Die Biophysikerin Alena Khmelinskaia und die Biophysiko­chemikerin Patrycja Kielb arbeiten an den Schnittstellen verschiedener Disziplinen und besetzen Argelander-Professuren, die an der Universität im Zuge der Exzellenz­förderung geschaffen wurden. Die Nachwuchs-Professuren sind Teil des Konzepts der sechs transdisziplinären Forschungs­bereiche (transdisciplinary research area, TRA), in denen Forscher über die Grenzen von Fächern und Fakultäten hinweg gemeinsam zukunftsrelevante Fragestellungen bearbeiten. Alena Khmelinskaia und Patrycja Kielb schlagen jetzt in der TRA „Bausteine der Materie und fundamentale Wechselwirkungen“ eine Brücke zwischen der Chemie, Physik und den Lebenswissenschaften. Ihre Arbeiten sind für die Entwicklung nachhaltiger Technologien moderner Gesellschaften relevant – zum Beispiel in der Medizin oder Energieforschung.

 

Abb.: Die beiden neuen Argelander-Professorinnen Alena Khmelinskaia (li.) und...
Abb.: Die beiden neuen Argelander-Professorinnen Alena Khmelinskaia (li.) und Patrycja Kielb (Bild: V. Lannert / U. Bonn)

Bei Biohybriden handelt es sich um Strukturen, die teils biologisch und teils künstlich hergestellt sind. „Wir haben es hier mit einem zukunfts­trächtigen neuen Forschungsfeld zu tun, das einen Potenzial­bereich der Chemie darstellt und das wir in der TRA ,Matter‘ etablieren wollen“, sagt Peter Vöhringer, Sprecher des transdisziplinären Forschungs­bereichs „Bausteine der Materie und fundamentale Wechselwirkungen“ (TRA ,Matter‘) der Universität Bonn. Ziel ist es, hybride Systeme herzustellen, bei denen ein synthetischer, für eine bestimmte Funktion maßgeschneiderter Baustein an eine natürliche biologische Komponente geknüpft ist. Das können zum Beispiel Proteine, Nukleinsäuren oder Biomembranen sein. „Wir versprechen uns von solchen Hybridstrukturen verbesserte Funktionalität in zahlreichen Schlüssel­technologien wie zum Beispiel der chemischen Katalyse, der Energie­konversion oder der molekularen Sensorik“, betont Peter Vöhringer.

„Alena Khmelinskaia und Patrycja Kielb sind zwei herausragende Wissenschaftlerinnen, die an der Schnittstelle verschiedener Fächer kreative neue Forschungs­ansätze entstehen lassen. Deswegen freuen wir uns sehr, dass wir sie als Argelander-Professorinnen gewinnen konnten“, sagt Andreas Zimmer, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Bonn. „Die Professuren sind ein ganz wichtiger Teil des trans­disziplinären Konzepts unserer Universität.“

Das Ziel der Argelander-Professuren (benannt nach dem Bonner Astronomen Friedrich Wilhelm August Argelander, gestorben 1875) ist es, das Forschungsprofil der im Zuge der Exzellenz­förderung etablierten trans­disziplinären Forschungs­bereiche an den Schnittstellen zwischen Disziplinen systematisch auszubauen. Nachwuchs­forscher erhalten dadurch die Möglichkeit, ihre unabhängige akademische Karriere aufzubauen.

„Für mich sind die Berufungen der Aufbruch in eine neue Entwicklung in der Fachgruppe Chemie der Mathematisch-Natur­wissenschaftlichen Fakultät“, sagt Peter Vöhringer. „Zusammen mit einer Reihe visionärer Köpfe in der Fachgruppe und im trans­disziplinären Forschungs­bereich arbeiten wir daran, neue Forschungsfelder zu erschließen und innovative Projekte zu starten.“

Die Biophysikerin Alena Khmelinskaia beschäftigt sich im LIMES-Institut der Universität Bonn damit, wie sich Proteine selbst organisieren – ein allgegenwärtiges Phänomen in allen Bereichen des Lebens, auch bei Viren. Proteinbausteine sind so programmiert, dass sie durch das Zusammenwirken von Molekülen miteinander interagieren und viele verschiedene Architekturen annehmen, die von unzähligen Kristallen und Fäden bis hin zu dreidimensionalen Baugruppen reichen. Die physikalischen Wechselwirkungen, die der Selbstorganisation von Proteinen zugrunde liegen, möchte Alena Khmelinskaia mit ihrer Forschungsgruppe entschlüsseln.

Dazu kombiniert sie moderne theoretische Berechnungsverfahren, Versuche im Reagenzglas und biophysikalische Methoden. Es entstehen neuartige Protein-Nanopartikel, die es in der Natur noch nicht gibt. „Diese Proteine sind im Vergleich zu ihren natürlichen Gegenstücken sehr stabil und unempfindlich gegenüber Veränderungen“, sagt Alena Khmelinskaia. „Das macht sie zu attraktiven Werkzeugen, um das Zusammenspiel von Wechselwirkungen beim Bau von protein­basierten Materialien zu untersuchen“. Die 30-Jährige promovierte 2018 am Max-Planck-Institut für Biochemie und war zuletzt als Postdoktorandin am Institut für Protein­design an der University of Washington tätig.

„Das Design neuartiger Proteinkomplexe ist ein hochspannendes Forschungs­gebiet mit vielfältigen Anwendungs­möglichkeiten an den Schnittstellen zwischen Biochemie, Biomedizin, Biophysik und theoretischer (Bio)chemie“, sagt Günter Mayer, Mitglied in den TRAs „Matter“ und „Life & Health“ sowie Forschungs­gruppenleiter am LIMES-Institut.

Die Biophysikerin Patrycja Kielb, deren Professur am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie des Fachbereichs Chemie angesiedelt ist, interessiert sich dafür, wie die Natur komplizierte Redoxprozesse ausführt – also chemische Reaktionen, bei denen Elektronen von einem Reaktions­partner auf einen anderen übertragen werden. Solche Transformationen sind für Schlüssel­prozesse in Umwelt und Leben notwendig, zum Beispiel für den Biomasseabbau oder die Zellatmung, und können für nachhaltige und umweltfreundliche Zukunftstechnologien genutzt werden. Das Herzstück dieser Prozesse in der Natur sind Metalloenzyme. Sie beherbergen natürliche Redox­bausteine wie Metallionen und Redox­aminosäuren und sind in der Lage, biochemische Reaktionen optimal durchzuführen. „Mit meiner Forschungs­gruppe möchte ich herausfinden, wie wir die unglaubliche Effizienz solcher natürlichen biologischen Systeme nutzen und weiterentwickeln können, um künstliche biohybride Systeme für bioelektronische Geräte zu entwickeln“, sagt Patrycja Kielb. Solche Geräte verbinden Elektroden und biologische Komponenten miteinander und können in der Medizin-, Nano- und Energietechnik Anwendung finden.

„Die Universität Bonn ist für mich der perfekte Ort, um ein multidisziplinäres Labor aufzubauen, und ich freue mich auf viele spannende Kooperationen“, betont Patrycja Kielb. Ihr experimenteller Ansatz kombiniert Protein-Engineering und Biochemie, Biophysik sowie bioanorganische und physikalische Chemie. Die 33-Jährige promovierte 2017 an der Technischen Universität Berlin und war zuletzt Postdoktorandin am California Institute of Technology (Caltech) und der Universität Potsdam.

Die beiden neu besetzen Professuren werden über das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (WISNA) finanziert. Es handelt sich dabei um insgesamt sechsjährige W1-Professuren mit Zwischen- und Endevaluierung. Bei erfolgreichem Verlauf dient diese Tenure-Track-Phase als Sprungbrett auf eine anschließende W2-Professur mit unbefristeter Anstellung.

U. Bonn / DE

 

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