Neues Großexperiment zum Nachweis dunkler Materie
COSINUS soll umstrittene Signale einer anderen Detektor-Anlage überprüfen.
Die Natur der dunklen Materie zählt bis heute zu den großen Fragen der modernen Physik. Nach heutigem Wissen macht die unsichtbare dunkle Materie 85 Prozent der Gesamtmasse im Universum aus. Im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor INFN ging Mitte April das „Cryogenic Observatory for SIgnatures seen in Next-Generation Underground Searches“ COSINUS in Betrieb. Das Forschungsprojekt soll überprüfen, ob das Experiment DAMA/LIBRA tatsächlich Signale dunkler Materie gemessen hat. COSINUS ist eine Kooperation der TU Wien, des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare, des Helsinki Institute of Physics und des MPI für Physik. Erste Ergebnisse der Messungen sind 2025/26 zu erwarten.
Für das COSINUS-Projekt wurde ein spezielles Instrument entwickelt. Dabei wird ein Kristall auf extrem tiefe Temperaturen gekühlt, um die Energie von Teilchen mit hoher Präzision messen zu können. Falls die dunkle Materie aus bisher unbekannten Teilchen besteht, müsste die Erde auf ihrem Weg durch das All mit diesen Teilchen zusammenstoßen. Diese Kollisionen könnten sich im Messgerät nachweisen lassen. Das DAMA/LIBRA-Experiment hat Daten gesammelt, die mit dieser Annahme im Einklang stehen, allerdings umstritten sind, da die Bestätigung durch ein anderes Experiment bislang ausgeblieben ist.
Wenn sich dunkle Materie tatsächlich nachweisen ließe, würden die Messungen über das Jahr hinweg variieren. Denn die Sonne und ihre Planeten – also auch die Erde – bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Die Erde wiederum kreist mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne, für einen kompletten Umlauf braucht sie ein Jahr. Ein halbes Jahr lang bewegt sich die Erde also in der gleichen Richtung wie die Sonne, die anderen sechs Monate in der Gegenrichtung.
„Wenn unsere Galaxie von Teilchen aus dunkler Materie durchdrungen ist, würde sich die Erde mal schneller, dann wieder langsamer durch diesen Nebel hindurchbewegen“, erklärt Karoline Schäffner vom MPI für Physik, die technische Leiterin von COSINUS. „Die Situation gleicht einer Autofahrt im Regen: Je schneller wir unterwegs sind, umso mehr Regentropfen prasseln auf die Windschutzscheibe. Wir erwarten also, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich viel dunkle Materie zu detektieren.“
Genau das hat das DAMA/LIBRA-Experiment ergeben, das seit 1995 läuft. Die Forscher detektierten tatsächlich ein Signal, dessen Intensität sich im Lauf des Jahres regelmäßig veränderte – ein Hinweis auf dunkle Materie. Doch andere Experimente konnten diese Ergebnisse nicht wiederholen.
Der fehlende Nachweis durch andere Experimente beschäftigt die internationale Forschungsgemeinde seit Jahren. „Mit unserem neuen Projekt gibt es die Chance, dieses Rätsel zu lösen“, sagt Schäffner. „Wir verwenden in unserem Detektor Natriumiodid, dasselbe Material wie im DAMA/LIBRA-Experiment, um die Ergebnisse vergleichen zu können. Unser Versuchsaufbau wird aber eine deutlich höhere Genauigkeit erzielen.“
Im DAMA/LIBRA-Experiment wird nur das Licht, nicht aber die Wärme vermessen. Es gibt bereits zwei weitere Experimente, mit denen Wissenschaftler daran arbeiten, die DAMA/LIBRA-Experimente zu reproduzieren. Wie das Original zeichnen beide nur Licht auf – im Gegensatz zu COSINUS, das auf zwei verschiedene Signale ausgelegt ist.
Das Herzstück von COSINUS ist ein Kryostat, in dem ein Kristall aus Natriumiodid auf ein bis zwei hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden kann. Wird dieser Kristall von dunkle-Materie-Teilchen getroffen, kommt es zu zwei Reaktionen im Detektor: Erstens werden die Atome des Kristalls in Schwingung versetzt – das Kristallgitter beginnt zu wackeln und heizt sich auf. Die dabei aufgenommene Wärmeenergie lässt sich äußerst genau messen. Zweitens entsteht im Kristall auch Licht, das COSINUS ebenfalls registrieren kann.
Die Untersuchung von zwei Signalen liefert zudem Hinweise, um welche Teilchen es sich handelt. „Das ist wichtig, denn nicht jedes Signal, das man in einem solchen Detektor misst, ist ein Hinweis auf dunkle Materie“, erklärt Schäffner. „Es kann sich zum Beispiel um gewöhnliche Elektronen handeln, die durch natürliche Radioaktivität entstehen. Oder auch um Neutronen, die von kosmischen Teilchen produziert werden.“
Um Signale der dunkle Materie zu entdecken, müssen die Forscher den Kristall möglichst effektiv vor jeglichem Hintergrundrauschen abschirmen. Daher steht das Experiment gut geschützt in einem Bergmassiv, im größten Untergrundlabor der Welt, dem INFN, etwa hundert Kilometer von Rom entfernt. Unter 1400 Metern Gestein bietet ein Tunnelsystem Platz für eine Vielzahl hochempfindlicher Versuche – auch das DAMA/LIBRA-Experiment ist dort aufgebaut. Außerdem werden die Detektoren in einem sieben Meter hohen Tank mit hochreinem Wasser platziert.
MPP / RK