Neuronen im Orbit
Experiment analysiert Wachstum von Nervenzellen unter Schwerelosigkeit.
Wie entwickelt sich der erste im Weltall geborene Mensch? Was wie eine Frage aus einem Science Fiction-Roman klingt, ist Hintergrund eines aktuellen Forschungsprojekts der Universität Hohenheim in Stuttgart. Kommende Woche schickt ein Forscherteam dafür Zellen in einer Brutkiste auf die Internationale Raumstation ISS. Zwei Wochen lang wachsen die menschlichen Zellen dort in der Schwerelosigkeit, bevor sie per Transportkapsel zur Erde zurückkehren und in Hohenheim analysiert werden. Im Online-Tagebuch berichtet das dreiköpfige Team von den Vorbereitungen für die Mission.
Abb.: Die Physiologen Claudia Koch und Florian Kohn während eines Parabelflug, auf dem sie den Einfluss der Schwerelosigkeit auf Nervenzellen untersuchten. (Bild: U. Hohenheim)
Florian Kohn und Claudia Koch vom Fachgebiet für Membranphysiologie haben Schwerelosigkeit bisher für jeweils 22 Sekunden gefühlt und auf Parabelflügen das Verhalten von Zellen unter schwerelosen Bedingungen erforscht. Nun treten ihre Forschungsobjekte ohne sie die Reise ins All an, um sich für zwei Wochen in der Schwerelosigkeit zu entwickeln. „Wir wollen untersuchen, ob dieser Prozess in Schwerelosigkeit genau so funktioniert wie auf der Erde“, erklärt Kohn. „Falls irgendwann ein Mensch im All geboren wird, wissen wir dann, ob sich Nervensysteme in Schwerelosigkeit normal entwickeln würden.“
Da die Zellen ein paar Tage benötigen, um sich zu Nervenzellen zu entwickeln, fliegen sie kommende Woche zu einem eigens vorbereiteten Brutkasten von Cape Canaveral aus zur ISS. Seit Mitte November ist Koch im Space Life Sciences Laboratory (SLSL) bei Cape Canaveral, um die Mission vor Ort zu begleiten. Im Online-Tagebuch berichtet das Team von den Vorbereitungen für die Mission, der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kollegen und den besonderen Anforderungen der Arbeit in Florida. Bis zum Raketenstart hält Koch die Zellen bereit, um sie auf Abruf für den Transport fertigzumachen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Hohenheimer Forscher Zellen in luftige Höhen schicken: 2011 reisten menschliche Zellen aus Hohenheim in der Experimentieranlage SIMBOX mit der chinesischen Raumkapsel Shenzhou-8 ins All, 2015 starteten sie aus dem schwedischen Kiruna an Bord der Texus 52-Rakete. Für ihre Experimente verwenden Koch und Kohn menschliche Zellen aus dem Zellstamm SH-SY5Y. Sie entstammen Tumorzellen, die 1973 einem vierjährigen Mädchen entnommen wurden. Seitdem werden die Zellen, wie auch Zellen vieler anderer Stämme, weitergezüchtet und in der Forschung eingesetzt. Zellen dieses Stammes lassen sich mit einfachen Mitteln zu Nervenzellen entwickeln und sind deshalb ein anerkanntes Modellsystem für Nervenzellen. Sie kommen zum Beispiel in der Alzheimerforschung zum Einsatz.
U. Hohenheim / JOL