Numerus clausus aus Notwehr
Die deutschen Hochschulen appellieren an Bund und Länder, möglichst schnell mehr Studienplätze zu schaffen.
Numerus clausus aus Notwehr
Hamburg (dpa) - Angesichts mangelnder Ressourcen haben die deutschen Hochschulen an Bund und Länder appelliert, gemeinsam möglichst schnell mehr Studienplätze zu schaffen. Schon jetzt gebe es «lokale Zulassungsbeschränkungen, um überhaupt die Qualität der Lehre aufrechterhalten zu können. Das ist eine Notwehrreaktion der Hochschulen», sagte die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, der dpa. Die Zahl der Studiengänge mit lokalem Numerus clausus (NC) ist nach einer dpa-Umfrage in den meisten Bundesländern in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
So wird an den Berliner Universitäten der Zugang inzwischen fast zu 100 Prozent per NC geregelt, in Hamburg waren es im Vorjahr 90,5 Prozent aller Studiengänge. In Nordrhein-Westfalen schnellte die Zahl der NC-Studiengänge in den vergangenen fünf Jahren von 200 auf 764 im Wintersemester (WS) 2005/06 hoch. In Rheinland-Pfalz kletterte sie von 31 im Sommersemester (SS) 2000 auf 218 im WS 2005/06, bevor sie zum jetzigen Studienhalbjahr leicht auf 205 zu sank. Für Hessens Hochschulen gab das Ministerium einen sprunghaften NC-Anstieg von 60 Prozent vom WS 2003/04 zum WS 2005/06 an. Bundesweit hatten laut HRK im vergangenen WS 49 Prozent aller Studiengänge einen örtlichen NC, drei Prozent wurden im bundesweiten ZVS-Verfahren vergeben.
Trotz des erwarteten Anstiegs der Studierwilligen in den nächsten Jahren als Folge der geburtenstarken Jahrgänge wurden in einigen Ländern aus Spargründen sogar Studienplätze abgebaut, so in Berlin, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Laut Kultusministerkonferenz (KMK) soll die Zahl der Studienanfänger von derzeit rund 352 000 bis zum Jahr 2011 um etwa 60 000 steigen. Auch wird es als notwendig angesehen, dass künftig 40 Prozent eines Jahrgangs studieren, derzeit sind es 36,7 Prozent. Hinzu kommt ferner, dass die neue Struktur mit Bachelor- und Masterstudiengängen mehr Ressourcen erfordert, da diese arbeitsintensiver sind und kleinere Gruppen und Praktika bedeuten.
Um den Studierberechtigten «die Chance zu bieten, auch studieren zu können, müssen die Studienplatzkapazitäten ausgebaut werden», verlangte Wintermantel. Es dürfe nicht sein, dass «eine große Zahl möglicher Studienanfänger praktisch vor den Toren der Hochschulen steht und nicht studieren kann». Das wäre auch volkswirtschaftlich fatal.
Die HRK hatte deshalb bereits im Vorjahr Bund und Länder zu einem gemeinsamen Hochschulpakt 2020 aufgefordert. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und die Wissenschaftsminister der Länder wollen am 2. Mai zu einem zweiten Gespräch darüber zusammentreffen. Doch einer gemeinsamen Hilfe für die Universitäten und Fachhochschulen sind Grenzen gesetzt, sollte die von der großen Koalition verabredete Föderalismusreform unverändert kommen. Denn dann darf sich der Bund künftig nicht mehr finanziell beteiligen, wenn es um Bereiche geht, die ausschließlich in der Kompetenz der Länder liegen.
Deshalb möchte Schavan mit Bundesmitteln die Forschung in den Ländern fördern, damit diese mehr Mittel für die Lehre frei bekommen. Das lehnen aber die SPD-Bildungspolitiker aus Bund und Ländern ab. Sie wollen am liebsten mit Geldern des Bundes direkt Studienplätze ausbauen. In der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes für 2007 bis 2009 sind bereits rund 950 Millionen Euro für den Hochschulpakt vorgesehen.
Die HRK-Präsidentin befürchtet, «dass die Hochschulen jetzt unter die Räder eines allgemeinen Gerangels um Kompetenzen im Zuge der Föderalismusreform zu kommen drohen». Ein «Kooperationsverbot» sei angesichts der gesamtstaatlichen Verantwortung nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Ausbildung junger Leute, sehr fragwürdig. «Zupackende Zukunftspolitik sieht anders aus.» Wintermantel: «Ich appelliere an die politischen Akteure, an die Länder und den Bund, gemeinsam die Hochschulen in die Lage zu versetzen, den Herausforderungen wirklich vernünftig begegnen zu können.»