Nur Endlager oder auch Umwandlung?
Trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie rät acatech dazu, sich in Deutschland Optionen für die Transmutation radioaktiver Abfälle offenzuhalten.
Der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 ist in Deutschland beschlossene Sache. Doch das Problem der Endlagerung der angefallenen radioaktiven Abfälle wird bis dahin nicht gelöst sein. Das Verfahren der Partitionierung und Transmutation (P&T) eröffnet allerdings eine Möglichkeit, langlebige in kurzlebigere Nuklide umzuwandeln. Eine internationale Expertengruppe hat nun im Auftrag der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech die Chancen und Risiken dieser Technik analysiert und in einem Positionspapier Handlungsempfehlungen formuliert.
Bei dem Verfahren wird zunächst das Nuklidgemisch der Brennstoffe in die verschiedenen Nuklide aufgetrennt (Partitionierung): in Uran, das im Reaktor nicht gespalten wurde, in Plutonium und in die „minoren Aktiniden“ (Neptunium, Americium und Curium). Das abgetrennte Uran lässt sich entweder in noch aktiven Reaktoren einsetzen oder als vernachlässigbar wärmeentwickelnder Abfall endlagern. Das abgetrennte Plutonium und die minoren Aktiniden werden in einer Transmutationsanlage mit schnellen Neutronen beschossen und dadurch zu mindestens 90 Prozent in kurzlebigere oder stabile Atomkerne umgewandelt.
Im belgischen Mol soll die MYRRHA-Anlage zur Erforschung des Transmutation-Verfahrens entstehen. (Bild: SCK.CEN)
Auf diese Weise könnte sich zukünftig das für die Endlagerung vorgesehene Volumen an wärmeentwickelnden Abfällen auf ein Drittel reduzieren lassen (von 28000 auf 9500 Tonnen), vorausgesetzt, die industrielle Umsetzung von P&T gelingt. Gleichzeitig würde sich das Volumen der vernachlässigbar wärmeentwickelnden Abfälle um etwa ein Drittel erhöhen, das heißt zu den rund 300000 Kubikmetern kommen weitere 100000 Kubikmeter hinzu, die bei P&T neu entstehen. Aber dafür würde sich nach 1000 Jahren (wenn man von den bereits verglasten wärmeentwickelnden Abfällen absieht) ungefähr die gleiche Radioaktivität im Endlager für wärmeentwickelnde, hoch radioaktive Abfälle befinden wie nach einer Million Jahren ohne Anwendung von P&T.
Das Gefährdungspotenzial von P&T-Anlagen für Mensch und Umwelt ist vergleichbar mit dem von Anlagen zur Wiederaufbereitung und Kernreaktoren der vierten Generation, heißt es in der Studie. Der Transport zu den Transmutationsanlagen birgt die Gefahr, dass Plutonium und die minoren Aktiniden entwendet werden könnten. Andererseits sinkt die Gefahr, dass Plutonium aus dem Endlager entwendet wird, da es zuvor in Transmutationsanlagen größtenteils umgewandelt wurde. Unklar ist, ob sich der Bau und Betrieb von P&T-Anlagen ökonomisch lohnen kann. Denkbar ist, dass bei einer relativ geringen Abfallmenge die Stückkosten pro Tonne Abfall zu hoch ausfallen könnten.
„Im Klartext heißt das: Partitionierung und Transmutation ist für Deutschland allein keine Option, in europäischer Perspektive aber durchaus“, betont der Leiter des acatech-Projekts, der Umwelt- und Techniksoziologe Ortwin Renn von der Universität Stuttgart. Renn war 2011 Mitglied der Ethikkommission der Bundesregierung für eine sichere Energieversorgung. So könne eine deutsche Beteiligung an der Euratom-Forschung sinnvoll sein, um das hierzulande vorhandene Know-how auch zu nutzen. Dies bliebe für die Sicherheitsforschung relevant, wenn man davon ausgeht, dass andere Länder die Kernenergie weiter nutzen werden. Transmutation bietet eine Möglichkeit, diese sicherer zu machen.
Daher kommt die acatech-Studie zu dem Fazit, dass Forschung zu P&T im europäischen Kontext stattfinden sollte und eine zukünftige Beteiligung Deutschlands geprüft werden sollte – etwa an MYRRHA in Belgien, einer Anlage, die auf dem Gelände des belgischen Forschungszentrums SCK•CEN in Mol entstehen und die Grundlagen und Machbarkeit der Transmutation erforschen soll. Die deutsche Forschung sollte sich auf folgende Schlüsselbereiche konzentrieren: die effiziente Partitionierung, die effiziente Transmutation, die sicherheitstechnische Bewertung der Anlagen sowie die Bewertung der gesellschaftlichen Implikationen aller Handlungsoptionen.
Vor dem Hintergrund des deutschen Ausstiegs aus der Kernenergie ergebe sich, so Renn, allerdings ein moralisches Dilemma: „Die Frage ist, ob es sinnvoller wäre, idealistisch zu bleiben, auf die Gefahr hin, später im Nachteil zu sein, oder ob es besser wäre, Realist zu bleiben und damit letztlich eine bessere pragmatische Lösung zu haben.“
Alexander Pawlak / acatech