Otto Hahn: Der Kernspalter
Vor 50 Jahren starb der Entdecker der Kernspaltung und Chemie-Nobelpreisträger in Göttingen. Ein Sammelband präsentiert neue Forschungen zu seinem Leben und Werk.
Kaum eine andere Entdeckung des 20. Jahrhunderts hatte eine solche Tragweite, kaum eine andere Entdeckungsgeschichte ist bis heute derart umstritten wie die der Kernspaltung, die untrennbar mit dem Namen Otto Hahn verbunden ist. Sein Todestag am 28. Juli jährt sich zum fünfzigsten Mal, ebenso wie der seiner Mitstreiterin Lise Meitner, die am 27. Oktober 1968 starb. Der Chemiker Hahn und die Physikerin Meitner arbeiteten drei Jahrzehnte zusammen und blieben auch nach Meitners Emigration 1938 wissenschaftlich und freundschaftlich verbunden.
Aus Anlass des 50. Todestages erscheint nun der Sammelband „Radiochemie, Fleiß und Intuition“, in dem namhafte Wissenschaftshistorikerinnen und -historiker einen differenzierten Blick auf das Leben und Werk Otto Hahns bieten und auch mit einigen Mythen aufräumen möchten. Die Entdeckungs- und Rezeptionsgeschichte der Kernspaltung ist nämlich überaus komplex.
Nicht zuletzt durch die 1996 erschienene Meitner-Biografie der amerikanischen Physiko-Chemikerin Ruth Lewin Sime wurden die Nichtberücksichtigung Meitners beim Chemie-Nobelpreis, der 1944 Hahn allein zuerkannt worden war, und Hahns Rolle im Dritten Reich kritisch diskutiert. Daher schwankt das historische Bild Hahns zwischen den Extremen der Heldenverehrung eines großen Chemikers und der Darstellung eines egoistischen Opportunisten, der die Leistungen Meitners verschwiegen haben soll.
Vera Keiser, Herausgeberin des Sammelbandes, und der 2017 verstorbene Chemiker Martin Trömel versuchen in zwei ausführlichen Beiträgen, die Diskussion über Otto Hahn auf der Basis von Primärquellen zu versachlichen. Enthalten ist auch ein bislang unveröffentlichtes Manuskript „Beziehungen zu Nichtariern 1933 – 1945“, das Hahn kurz nach Kriegsende niedergeschrieben hat, um seine zeitnahen Eindrücke über einige tragische Ereignisse festzuhalten. Otto und Edith Hahn versuchten immer wieder, jüdischen Mitbürgern zu helfen. Dies schriftlich zu fixieren, wäre während der Naziherrschaft lebensgefährlich gewesen.
Otto Hahn spricht 1956 in Göttingen über die Geschichte der Uranspaltung. (Quelle: TIB AV-Archiv)
Archivar Ralf Hahn spürt in seinem Beitrag den Spuren nach, die Otto Hahn und Lise Meitner in der DPG hinterlassen haben. Dafür wertet er nicht nur die im Magnus-Haus vorhandenen Dokumente aus, sondern z. B. auch den Briefwechsel von Lise Meitner mit der schwedischen Physikerin Eva von Bahr, der in der Schwedischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird. Meitner schildert darin ihre Lebensumstände, die Arbeit mit Otto Hahn und vermittelt Eindrücke von den damaligen Kolloquien, die weit über die kargen Notizen in den Protokollbüchern hinausgehen.
Während sich der Weg Otto Hahns in der DPG in der Zeit ab Mitte der Zwanzigerjahre bis 1945 kaum nachzeichnen lässt, finden sich zur Verleihung der Max-Planck-Medaille an Lise Meitner und Otto Hahn wieder ausführlichere Dokumente im DPG-Archiv. Auf die Nachricht der Verleihung reagiert Hahn mit dem ihm eigenen Understatement: „Ich kann […] leider ein etwas schlechtes Gewissen nicht unterdrücken, denn die Medaille wird ja wohl mehr für Arbeiten theoretischen Inhalts verliehen, und Theorie machte mir immer besondere Schwierigkeiten, insbesondere da ich ursprünglich von der reinen experimentellen organischen Chemie herkam.“
Otto Hahn gehörte zu den deutschen Wissenschaftlern, die nach Ende des Krieges im britischen Farmhall interniert wurden. Die Nachricht des Atombombenabwurfs über Hiroshima erschütterte ihn so, dass er daran dachte, sich das Leben zu nehmen.
Sein Institut in Berlin war 1944 weitgehend zerstört und von Berlin nach Tailfingen in Württemberg verlagert worden. Aufgrund seiner Integrität und wissenschaftlichen Leistung wurde Otto Hahn als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vorgeschlagen. Er erklärte sich bereit und übernahm das Amt nach seiner Rückkehr nach Deutschland im April 1946. Am 26. Februar 1948 wurde in Göttingen die Max-Planck-Gesellschaft gegründet, welche die Aufgaben und Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft fortführte. Ihr Senat wählte wiederum Otto Hahn zum Präsidenten. Er konzentrierte sich voll auf seine neue Aufgabe in dieser schwierigen Zeit und verzichtete auf weitere wissenschaftliche Arbeiten.
Otto Hahn erhielt unzählige Ehrungen, darunter 1959 das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband aus den Händen von Bundespräsident Theodor Heuss, die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Frankfurt und von Göttingen. 1948 wurde er zusammen mit Lise Meitner Ehrenmitglied der DPG und 1960 Ehrenpräsident und Ehrensenator der Max-Planck-Gesellschaft. Die letzten vier Monate seines Lebens verbrachte Otto Hahn in einer Göttinger Klinik, wo er am 28. Juli 1968 starb.
Alexander Pawlak / GNT-Verlag / MPG
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