Phasenumwandlung verleiht Gedächtnis
Formgedächtnis-Drähte aus Nickel-Titan-Legierung schaffen Bewegungsabläufe wie echte Muskeln.
Die Muskeln des Menschen reagieren auf Nervenimpulse, indem sie sich zusammenziehen. Dabei werden sie kürzer. Wenn sie sich wieder entspannen, gehen sie in ihre ursprüngliche Form zurück. Durch dieses Zusammenspiel von Nervensystem und An- und Entspannung der Muskulatur kann der Mensch alle nur erdenklichen Bewegungen vollführen.
Abb.: Fledermaus-Modell für das North Carolina Museum of Natural Sciences. Durch das Zusammenspiel mehrerer intelligenter Drähte ahmen die Modelle den echten Flügelschlag der Fledermäuse naturgetreu nach. (Bild: O. Dietze)
Nach ähnlichem Prinzip funktionieren die „intelligenten“ Drähte, an denen an der Universität des Saarlandes die Teams von Stefan Seelecke und Joachim Rudolph forschen. Sie nutzen dabei die besonderen Eigenschaften von Drähten aus der Legierung Nickel-Titan (kurz NiTi). Diese Drähte haben die „Gabe“, sich an ihre alte Form zu „erinnern“, wenn sie verformt werden. Sie besitzen ein Formgedächtnis: Werden die Drähte erwärmt, etwa indem ein elektrischer Strom durch sie fließt, ziehen sie sich zusammen und werden deutlich kürzer. Wird der Strom abgeschaltet, kühlen sie aus und werden wieder so lang wie zuvor. Diese Eigenschaften der NiTi-Legierung, die sie von gewöhnlichen Metallen unterscheidet, beruhen auf Phasenumwandlungen, die mit einer Veränderung der Gitterstruktur einhergehen.
Am Lehrstuhl für Unkonventionelle Aktorik hieven die haarfeinen Drähte schwere Gewichte, wenn sie unter Strom stehen. Mithilfe einer ausgeklügelten Steuerung lassen sich im Zusammenspiel mehrerer Drähte ganze Bewegungsabläufe nach festgelegter Choreographie ausführen. Dies demonstrieren die Forscher an Modellfledermäusen, denen sie Drähte als künstliche Muskeln verliehen haben, die die Flügelbewegungen echter Fledermäuse exakt nachahmen.
Eine weitere Anwendung findet die Technik in einem Inhalator, der Wirkstoffe zielgenau an den Wirkort in der Lunge bringt. Mit intelligenten Drähten kann ein Röhrchen im Mundstück genau in Position gebracht werden, so dass dieses „Wirkstoff-Geschütz“ seine Ladung gezielt in die Lunge „schießen“ kann.
Zusammen mit Ingenieuren am Lehrstuhl für Systemtheorie und Regelungstechnik um Joachim Rudolph befassen sich die Forscher damit, die Algorithmen so weiterzuentwickeln, dass sich die Länge des Formgedächtnis-Drahts maßgeschneidert und störungsfrei steuern lässt. Während beim Menschen die Befehle, etwa den Arm zu strecken oder zu beugen, vom Gehirn über Nervenimpulse an die Muskeln weitergegeben werden, geschieht dies hier über einen Mikro-Controller. Das System soll ganz ohne Sensoren auskommen.
Die Ingenieure suchen am saarländischen Forschungsstand vom 8. bis 12. April auf der Hannover Messe Partner für weitere Anwendungen (Halle 2, Stand C 40).
UdS / PH