Periodische Atombewegungen auf einer Längenskala von einem Femtometers lassen sich mittels ultrakurzer Röntgenimpulse abbilden. Bei dieser neuen experimentellen Technik werden regelmäßig angeordnete Atome in einem Kristall durch einen Laserimpuls in Schwingungen versetzt, die sich mit Hilfe einer Reihe von Schnappschüssen über die geänderte Röntgenabsorption beobachten lassen. Die Atomkerne in einem Kristall können Schwingungen um ihre Gleichgewichtspositionen ausführen. Die räumliche Auslenkung der Kerne bei solchen Schwingungen ist viel kleiner als der Abstand zwischen benachbarten Atomen. Dennoch hat die Schwingungsbewegung eine Rückwirkung auf die Elektronen, in dem sie deren räumliche Verteilung moduliert und damit die elektronischen und optischen Eigenschaften des Kristalls verändert. Diese Prozesse laufen auf einer Zeitskala deutlich unterhalb einer Pikosekunde ab. Um solche Effekte zu verstehen und auch anzuwenden, etwa in akusto-optischen Bauelementen, ist eine direkte Abbildung des filigranen Zusammenspiels zwischen Kern- und Elektronenbewegungen auf der Sub-Pikosekunden-Zeitskala wünschenswert.
Abb.: In einem Röntgen-Absorptionsexperiment regt Licht ein stark gebundenes Rumpfelektron in einen Leitungsbandzustand des Kristalls an. (Bild: MBI)
Forscher vom Max-Born-Institut in Berlin (Deutschland), von den Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology in Dübendorf (Schweiz) und dem National Institute of Standards and Technology, Gaithersburg (USA) haben nun ein neuartiges Experiment durchgeführt, das es erlaubt, einerseits kohärente Atomschwingungen in kleinen LiBH4-Kristallen gezielt anzuregen und andererseits diese über die modifizierte Röntgenabsorption auszulesen. In den Experimenten regte ein optischer Lichtimpuls (Wellenlänge 800 Nanometer) mittels impulsiver Ramanstreuung ein optisches Phonon an.
Die Atombewegungen dieser Schwingung verändern periodisch die Abstände zwischen Li+ und (BH4)-Ionen. Diese Distanzänderungen modulieren wiederum die räumliche Verteilung der Elektronen im Kristall und damit das Röntgen-Absorptionsspektrum von Li+-Ionen. Auf diese Weise transformieren sich die Atomschwingungen in eine oszillatorische Modulation der Röntgenabsorption an der Li-K-Kante bei Photonenergien von 60 Elektronenvolt. Ultrakurze Röntgenblitze messen damit die Veränderungen der Röntgenabsorption zu verschiedenen Verzögerungszeiten zwischen Anregungs- und Abtastimpulsen. Aus dieser Reihe von Schnappschüssen lassen sich dann die Atombewegungen rekonstruieren.
Das neue experimentelle Konzept ist extrem empfindlich und erlaubte zum ersten Mal, Atomschwingungen mit extrem kleinen Amplituden anzustoßen und zu vermessen. Im vorliegenden Fall bewegten sich die Li+-Ionen nur eine Strecke von drei Femtometern – eine Länge, die etwa dem Durchmesser eines Lithium-Atomkerns entspricht und 100.000 mal kleiner als der Abstand zwischen den Ionen im Kristall. Die experimentellen Beobachtungen sind in exzellenter Übereinstimmung mit einer detaillierten Theorie der Röntgenabsorption. Diese neue Methode auf der Femtosekunden-Zeitskala birgt ein vielversprechendes Potential, um das Zusammenspiel zwischen Kern- und Elektronenbewegungen in kondensierter Materie abzubilden und zu verstehen.
FVB / DE