Phononen tunneln durchs Vakuum
Von der heißen Spitze eines Rastertunnelmikroskops fließt die Wärme problemlos zu einer kalten Goldschicht – obwohl ein 0,3 Nanometer breiter Spalt dazwischen liegt.
Von der heißen Spitze eines Rastertunnelmikroskops fließt die Wärme problemlos zu einer kalten Goldschicht – obwohl ein 0,3 Nanometer breiter Spalt dazwischen liegt.
Der Wärmetransport über atomare Entfernungen wirft trotz intensiver Erforschung noch immer zahlreiche Fragen auf. Ob er durch Leitung, Strahlung oder Konvektion zustande kommt, stets liegen ihm Temperaturdifferenzen zugrunde. Doch die Temperatur, die zunächst nur für Objekte aus vielen Teilchen aussagekräftig ist, muss nun auch für einzelne Atome und Moleküle definiert sein. Zudem macht sich das Quantenverhalten mikroskopischer Teilchen bei der Wärmeübertragung bemerkbar. So hatten Achim Kittel und seine Kollegen schon 2005 beobachtet, dass ein Transport der Wärme durch Strahlung über Distanzen von weniger als 10 nm (also kürzer als die Wellenlänge der Wärmestrahlung) viel schlechter war, als man es aufgrund der dielektrischen Materialeigenschaften erwartet hatte. Jetzt berichten US-Forscher, dass ein 0,3 nm weiter Vakuumspalt für die Wärmeleitung kein Hindernis ist.
Bei ihren Experimenten setzten Igor Altfeder und seine Kollegen vom Air Force Research Laboratory der Wright-Patterson Air Force Base in Ohio ein Rastertunnelmikroskop ein. Die Spitze des Mikroskops stellten sie durch elektrochemisches Ätzen aus einem feinen Platiniridiumdraht her und säuberten sie gründlich in einem Ultrahochvakuum. Mit der „heißen“ Spitze, die auf 275 K gehalten wurde, näherten sie sich auf 0,3 nm einer kalten Oberfläche (210 K, 150 K oder 90 K) an, bestehend aus einer Goldschicht auf einem Glimmersubstrat. Dann legten sie eine variable elektrische Spannung zwischen Spitze und Substrat und maßen den spannungsabhängigen Tunnelstrom. Das Ganze fand im Ultrahochvakuum statt.
Die tunnelnden Elektronen wurden von den thermischen Bewegungen der Atome in der Spitze und der Goldschicht beeinflusst. So konnte ein Elektron die Energie eines Phonons, also eines mechanischen Schwingungsquants aufnehmen. Umgekehrt konnte ein Elektron auch ein Phonon anregen, wenn ihm die angelegte Spannung eine hinreichend große Energie gegeben hatte. Diese inelastischen Prozesse enthielten Informationen über die Wärmebewegung in der Spitze und der Goldschicht. Durch inelastische Elektronentunnelspektroskopie (IETS), also durch Auswertung des Zusammenhangs zwischen Tunnelstrom und angelegter Spannung, konnten die Forscher diese Informationen gewinnen. Dabei gab es einige Überraschungen.
Abb.: Mit der Mikroskopspitze vibriert auch das elektrische Feld, das dadurch die abschirmenden Ladungen in der Goldschicht in Bewegung setzt und Phononen erzeugt. (Bild: Igor Altfeder et al., Phys. Rev. Lett. 105, 166101 (2010))
Zunächst stellte sich heraus, dass an der heißen Mikroskopspitze ein CO-Molekül saß, das aber so kalt wie die Goldschicht war und kaum an den heftigen Bewegungen der Atome in der Spitze teilnahm. Es musste also zwischen dem CO-Molekül und der Goldschicht ein sehr effizienter Wärmeausgleich stattfinden. Wie die Berechnungen der Forscher zeigten, kam ein Wärmetransport durch Strahlung dafür nicht in Frage, da er etwa um den Faktor (vs/c)2 ≈ 10-10 zu klein war (vs ist die Schallgeschwindigkeit, c die Vakuumlichtgeschwindigkeit). Da Konvektion ebenfalls ausschied, musste Wärmeleitung stattgefunden haben. Doch wie konnten die dafür verantwortlich Phononen den Vakuumspalt überwinden. Konnten die Phononen quantenmechanisch tunneln?
Obwohl die Forscher den beobachteten Prozess als „Phononentunneln im Vakuum“ bezeichnen, sind daran nicht nur die Schwingungsquanten beteiligt sondern auch die Elektronen in der Goldschicht. Von der Mikroskopspitze ausgehend wirkt ein elektrisches Feld auf die darunter liegende Goldschicht, das an der Schichtoberfläche durch elektrische Ladungen abgeschirmt wird. Die starke Wärmebewegung der metallischen Spitze und die schwächere des CO-Moleküls führen dazu, dass das elektrische Feld schwankt. Das Feld seinerseits bewegt die abschirmenden Ladungen. Es entsteht ein „heißer Fleck“ in der Goldoberfläche. Ist die Kopplung zwischen den Ladungen und den Goldatomen stark genug, so übertragen sich die Ladungsbewegungen auf die Atome – und der heiße Fleck sendet Phononen aus. So gelangen die Phononen gewissermaßen auf elektrischem Umweg aus der Spitze durch das Vakuum in die Goldschicht. Die sehr effiziente Wärmeleitung durch tunnelnde Phononen wird man in der Nanotechnologie berücksichtigen müssen. Man fragt sich nur, wieso dieser Effekt noch nicht früher aufgefallen ist.
RAINER SCHARF
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MH