15.07.2020 • Plasma

Plasmakristall-Experimente auf der ISS

Plasmateilchen lassen sich in der Schwerelosigkeit einzeln mit bloßem Auge beobachten.

Normalerweise wären die Forscher im Juni nach Toulouse gereist, da sie nur von dort aus ihr Plasma­kristall-Labor PK-4 steuern können, das sich seit 2015 an Bord der Inter­nationalen Raum­station ISS befindet. Die Corona-Pandemie machte die Reise von Ober­pfaffen­hofen zum CADMOS-Kontroll­zentrum nach Frankreich jedoch unmöglich. Die monate­lang vor­bereiteten Experi­mente in der Schwere­losig­keit drohten auszu­fallen. Doch die Wissen­schaft­lerinnen und Wissen­schaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt erhielten „nahe­liegende“ Unter­stützung: Die Kollegen vom Deutschen Raumfahrt­kontroll­zentrum stellten ihre Ressourcen zur Verfügung und richteten ein Home­office der besonderen Art ein.

Inzwischen hat die Forschungs­gruppe vom DLR-Institut für Material­physik im Weltraum ihre einwöchige Versuchs­reihe erfolg­reich abgeschlossen – von Ober­pfaffen­hofen aus, unter Berück­sich­tigung sämtlicher COVID-19-Schutz­maß­nahmen. Dank der speziell einge­richteten IT- und Kommuni­ka­tions­kanäle konnten sie die Messungen am Bildschirm mitver­folgen und den Ablauf abstimmen – als ob sie im Kontroll­raum von Toulouse säßen. Die Experi­mente an Bord der ISS führte der russische Kosmonaut Anatoli Ivanishin unter Anleitung der Plasma­forscher durch.

„Das Deutsche Raumfahrt­kontroll­zentrum war ein Glücksfall für uns in Ober­pfaffen­hofen. Die Kolle­ginnen und Kollegen haben uns in dieser Ausnahme­situation wunderbar unter­stützt und hier erst­mals die wissen­schaft­liche Betreuung über­nommen. Wir freuen uns sehr, dass wir per Video- und Tonüber­tragung durch­gehend mit der Experiment­steuerung im Kontroll­zentrum von Toulouse und mit Kosmonaut Anatoli Ivanishin auf der ISS verbunden waren“, sagt Mikhail Pustylnik, Projekt­wissen­schaftler für PK-4 in der Forschungs­gruppe Komplexe Plasmen am DLR-Institut für Material­physik im Weltraum.

Die erfolgreiche Zusammen­arbeit ist auch ein Resultat der lang­jährigen Erfahrungen: Die Forschungs­gruppe führte ihre mittler­weile zehnte Mess­kampagne in der Schwere­losig­keit durch und verbucht somit ein rundes Jubiläum. Mit dem Betrieb des europäischen Columbus-Moduls betreut das Deutsche Raumfahrt­kontroll­zentrum bereits die ESA-Experi­mente auf der ISS und kennt das PK 4-Labor.

Etwa 99 Prozent der sichtbaren Materie des Weltalls besteht aus Plasma. Wenn in dem leit­fähigen Gas zusätz­lich Staub­teilchen oder andere Mikro­partikel enthalten sind, werden diese hoch aufge­laden und es entsteht ein komplexes Plasma. In der Schwere­losig­keit können sich die Teilchen frei im Raum ausbreiten und bilden geordnete drei­dimen­sionale Kristall­strukturen. Die Teilchen verhalten sich dabei ähnlich wie Atome in einem Fest­körper oder einer Flüssig­keit. Die Auf­zeich­nungen des Plasma­kristall-Labors PK-4 machen diese Vorgänge sichtbar. Mit jeder neuen Experi­ment­reihe gewinnt die Plasma­forschung funda­mentale Erkennt­nisse für das Lehr­buch­wissen der Zukunft. Daraus lassen sich viel­fältige Anwendungen ableiten, unter anderem Plasma­techno­logien für die Mikrochip-Produktion, den medizi­nischen Bereich oder für künftige Raum­fahrt­missionen.

Die aktuellen Strömungs­versuche mit PK-4 könnten zum Beispiel dabei helfen, die Ausbrei­tung von Schock­wellen besser zu verstehen. ISS-Besatzungs­mitglied und Experi­mentator Ivanishin heizte die Mikro­teilchen mit kurzen elektrische Pulsen auf, um sichtbar zu machen, wie sich die kinetische Energie bei einer Schockwelle ausbreitet und welche Wechsel­wirkungen auf Teilchen­ebene statt­finden. Das Einsetzen und Abklingen von turbu­lenten Strömungen wurden in mehreren Versuchen ergänzend unter­sucht.

Mithilfe von Laserstrahlen erzeugte das Experi­ment­team außerdem Scher­flüsse in der komplexen Plasma-Flüssig­keit. Die Messungen bauen auf den Ergeb­nissen der vergangenen Experi­ment­reihe auf und geben Aufschluss über die Zähigkeit von Flüssig­keiten. Neben der Ober­flächen­spannung gehört diese Viskosität zu den wichtigsten Eigen­schaften einer Flüssigkeit. Zusätzlich unter­suchten die Wissen­schaftler die dynamischen Strukturen von Plasma­kristallen. Ivanishin nutze dazu eine neue Experi­ment­möglich­keit, um Plasma­kristalle zu zerstören. Er schaltete den Strom an der Plasma­kammer aus, um die Gas­ent­ladung zu stoppen und schaltete den Strom dann sofort wieder an. In der tomo­graphischen 3D-Aufzeichnung können die Forscher genau nach­voll­ziehen, wie die Plasma­kristalle dadurch schmelzen und dann erneut kristal­li­sieren, wenn die Ladung wieder aktiviert wird.

DLR / RK

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