Quantenboost für klassische Kühltechnik
Neues Material verbessert magnetische Kühlung nahe dem absoluten Nullpunkt.
Effektive Kühlung bis zu Temperaturen am absoluten Nullpunkt ist sowohl für die Grundlagenforschung als auch für den Betrieb künftiger Quantencomputer erforderlich. Eine seit langem bekannte Kühltechnik basiert auf der adiabatischen Entmagnetisierung paramagnetischer Salze. Ein Forschungsteam der Uni Augsburg entwickelte dafür jetzt eine chemische Verbindung, in der Quantenffekte magnetischer Ordnung sehr stark entgegenwirken. Die neue Verbindung zeigt exzellente Kühleigenschaften und praktische Vorteile gegenüber etablierten Kühlsubstanzen.
Bislang lassen sich ultratiefe Temperaturen mit speziellen Kühlern erreichen, in denen eine Mischung der Heliumisotope 3He und 4He zirkuliert. Diese Anlagen sind sehr aufwändig und teuer in der Anschaffung. Insbesondere das Isotop 3He hat wegen seiner Seltenheit einen extrem hohen Preis. „Heliumkosten verursachen bereits jetzt einen hohen Anteil unseres Forschungsetats“, sagt Philipp Gegenwart von der Uni Augsburg, der mehrere Ultra-Tieftemperaturanlagen betreibt. „Der finanzielle Druck zwingt uns, heliumfreie Technologien in den Blick zu nehmen.“
Eine kostengünstigere Alternative ist die adiabatische Entmagnetisierung. Sie nutzt an Stelle von Helium spezielle magnetische Materialien, deren Elementarmagnete, also die Spins, in einem angelegten Feld ausgerichtet werden können. Die Entropie, Maß für die Unordnung der Spins, ist dann bei einer Ausgangstemperatur von noch einigen Kelvin, welche sich mit Vorkühlstufen erreichen lässt, bereits sehr gering. „Temperatur und Entropie sind durch fundamentale Gesetze verknüpft”, so Yoshi Tokiwa von der Uni Augsburg. „Wird das Magnetfeld adiabatisch, also ohne Wärmeaustausch mit der Umgebung, reduziert, bleibt die Entropie des Materials konstant gering. Da die geringe Unordnung ohne Feld aber nur bei sehr niedriger Temperatur auftreten kann, erfolgt eine Abkühlung auf sehr tiefe Temperaturen.”
Die erreichbare Minimaltemperatur wird durch einsetzende magnetische Ordnung begrenzt. Seit langem werden paramagnetische Salze, die ausreichend niedrige Ordnungstemperaturen aufweisen, als Kühlmaterialien eingesetzt. In diesen Materialien werden die Spins durch im Kristallgitter eingebaute Wassermoleküle auf Abstand gehalten. Genau das führt jedoch zu einer niedrigen Spindichte und damit geringer Kühlleistung pro Volumen, chemischer Instabilität und daher sehr aufwändiger Handhabung.
Die Gruppe der Uni Augsburg erforscht Materialien, in denen magnetische Ordnung durch Quanteneffekte behindert wird und stattdessen Spinflüssigkeitsverhalten auftritt. „Das bedeutet aber nicht, dass diese Materialien Flüssigkeiten wären. Es sind kristalline Festkörper, deren Spins stark wechselwirken, sich jedoch nicht starr ausrichten können, analog zu den Teilchen in einer Flüssigkeit”, erklärt Alexander Tsirlin von der Uni Augsburg. Bislang war dieses Forschungsthema lediglich aus Sicht der Grundlagenforschung hochinteressant. Mit der Entdeckung exzellenter magnetischer Kühleigenschaften eines solchen Materials wird nun eine Brücke zu Anwendungen geschlagen. Die Verbindung KBaYb(BO3)2 – Kalium-Barium-Ytterbium-Borat – wurde gezielt erforscht, weil ihre Spins konkurrierende Wechselwirkungen aufweisen, welche einen flüssigkeitsartigen Quantenzustand begünstigen können. Die Forscher erzielten eine starke Kühlung bis hinab zu 0,022 Kelvin durch Magnetfeldreduktion von fünf auf null Tesla.
Da die Verbindung chemisch stabil ist, einfach und kostengünstig hergestellt und gut verarbeitet werden kann, hat sie das Potenzial, etablierte paramagnetische Salze mit den oben beschriebenen Nachteilen zu ersetzen. Ihre Nutzung zur Erzielung ultratiefer Temperaturen im Labor wurde bereits gezeigt. Ein breiteres Anwendungspotenzial ergibt sich durch Kombination mehrerer unabhängig voneinander magnetisierbarer KBaYb(BO3)2-Bauteile in einem Kreisprozess, der kontinuierliches Kühlen ermöglichen könnte, wie es zum Beispiel zum Betrieb von Quantencomputern erforderlich ist. Die Arbeitsgruppe hat ein Gebrauchsmuster angemeldet und erhält zur Anbahnung von Industriekooperationen für die Umsetzung der Idee Unterstützung aus dem Projekt Wissenstransfer Region Augsburg.
Uni Augsburg / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
Y. Tokiwa et al.: Frustrated magnet for adiabatic demagnetization cooling to milli-Kelvin temperatures, Comm. Mater. 2, 42 82021); DOI: 10.1038/s43246-021-00142-1 - Low temperature, Experimentalphysik VI, Zentrum für elektronische Korrelationen und Magnetismus, Universität Augsburg