10.09.2021

Quasiteilchen im Fokus

Neue Professur für ultraschnelle Mikroskopie und Photonik an der TU Dresden.

Nur wenige Atome dünn sind die Quanten­materialien, die Alexey Chernikov und sein Team untersuchen. Dabei stehtdie Erforschung von rätselhaften Quasiteilchen im Fokus. Ein Quasi­teilchen besteht aus mehreren Elektronen, die sich gemeinsam als neues, eigenständiges Objekt verhalten. Sie können die Aufnahme und Abstrahlung von Licht sowie die Leitung von Strom entscheidend mitbestimmen. In Nanostrukturen – wie superdünnen Kristallen – sind Quasi­teilchen besonders robust, interagieren stark miteinander und können durch elektrische und magnetische Felder sowie durch die Umgebung präzise manipuliert werden. Chernikov konzentriert sich darauf, die Zusammensetzung, Wechsel­wirkungen und Bewegungen von Quasi­teilchen zu untersuchen und zu verstehen. Sie werden dafür mit einer besonderen Technik in „Echtzeit“ als eine Art Video aufgenommen.

 

Abb.: Alexey Chernikov besetzt die neu eingerichtete Professur für...
Abb.: Alexey Chernikov besetzt die neu eingerichtete Professur für ultra­schnelle Mikroskopie und Photonik an der TU Dresden. (Bild: K. Lesser)

Die Erforschung von Quasiteilchen wird in der modernen Festkörper­physik aktuell intensiv verfolgt. „Somit erschließt Alexey Chernikov einen wichtigen neuen Forschungsbereich im Exzellenz­cluster ct.qmat“, betont der Dresdner Cluster­sprecher Matthias Vojta. In Zukunft könnten Materialien wie die von Chernikov untersuchten ultradünnen Schichten die Basis für neuartige Laser­quellen, Licht­sensoren, Solarzellen oder auch Bausteine für Quanten­computer sein.

Um das Verhalten von Quasiteilchen in atomar-dünnen Kristallen und deren Verbindungen zu komplexeren Strukturen zu zeigen, nutzen der frisch berufene  Chernikov und sein Team Licht als Werkzeug. „Wir aktivieren das Material mit ultrakurzen Licht­impulsen eines starken Lasers und nehmen dann mit superschnellen Detektoren auf, wann das Licht wo und wie ausstrahlt. So erhalten wir Einsicht in die Zusammen­setzung der Quasiteilchen, lernen deren Bewegungs­muster kennen, und können Rückschlüsse auf die daraus resultierenden Material­eigenschaften ziehen“ erklärt Chernikov, der für seine Arbeiten auf dem Gebiet der zwei­dimensionalen Halbleiter­strukturen 2018 den Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) erhalten hat.

„Wir schauen ganz genau hin, wie die gespeicherte Energie oder Information transportiert wird und was die Bewegung der Quasiteilchen begünstigt oder verhindert“, erläutert der Wissenschaftler. „Es gibt auch klare Unterschiede, ob die Teilchen alleine oder in Gruppen unterwegs sind und wie sie auf ihre unmittelbare Umgebung reagieren. Das ist manchmal fast so wie bei uns Menschen. Diese Forschung ist super spannend für mich. Einerseits, um grundlegende Viel­teilchen­physik zu verstehen. Aber ebenso, weil zukünftige Informationstechnologien neue Materialien und Prozesse brauchen, die Bauteile kompakt, schnell und flexibel machen. In den ultradünnen Kristallen steckt viel Potenzial dafür.“

Kleinste Teilchen – wie einzelne Elektronen oder deren Verbünde als Quasiteilchen – bewegen sich sehr schnell durch einen Kristall, auf Zeitskalen von nur wenigen Picosekunden. Alexey Chernikov und sein Team verwenden daher optische Methoden, die diese ultraschnellen Prozesse so aufzeichnen, dass die Bewegungen der Quasiteilchen sichtbar werden. Weil diese Teilchen in Nanostrukturen stark miteinander agieren, entstehen neuartige kollektive Phänomene – beispielsweise die Ausbildung leuchtender, mikrometer­großer Ringe oder ganz ungewöhnliches Verhalten von Teilchenströmen, das sich nicht klassisch erklären lässt. „Auch wenn solche Effekte zurzeit vor allem bei extrem kalten Temperaturen beobachtet werden, arbeiten wir im Exzellenzcluster ct.qmat gemeinsam daran, diese exotischen Phänomene unter Alltagsbedingungen nutzbar zu machen – als Basis für revolutionäre Quantenchips und zukünftige technische Anwendungen“, ergänzt Clustersprecher Vojta.

„Ich freue mich schon sehr auf meine Arbeit im Exzellenzcluster ct.qmat. Der Forschungs­standort Dresden mit der engen Verbindung zu vier großen außeruniversitären Partner­instituten sowie nach Würzburg bieten meinem Team und mir ein wirklich außergewöhnliches, spannendes Umfeld “ so Alexey Chernikov, der von 2016 bis 2021 an der Universität Regensburg eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe leitete und seit August 2021 in Dresden ist. Im vergangenen Jahr erhielt er für die Erprobung neuartiger Wege zur Kontrolle von Quantenzuständen in Nano­strukturen zudem einen ERC Consolidator Grant vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit Forschungs­geldern in Höhe von rund zwei Millionen Euro. Seine ersten Arbeiten zum Verständnis optischer Anregungen in atomar dünnen Schichten entstanden an der Columbia University (New York, USA), wo er als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung von 2013 bis 2016 forschte. Die Doktorarbeit des diplomierten Physikers wurde von der Philipps-Universität Marburg mit Summa cum laude ausgezeichnet. Alexey Chernikov wurde in St. Petersburg/Russland geboren und kam mit 14 Jahren als Kind russisch-jüdischer Emigranten nach Deutschland. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder.

Zurzeit laufen die Vorbereitungen in den neuen Laboren von Chernikov am Institut für Angewandte Physik der TU Dresden auf Hochtouren. Hier sollen eine Reihe neuer Forschungs­ansätze und Experimente durchgeführt werden, um das Verhalten von Quasiteilchen unter Einwirkung hoher elektrischer und magnetischer Felder zu untersuchen, künstliche und hybride Nanostrukturen zu realisieren sowie neuartige Strategien zur Kontrolle von Lichtemittern zu erproben. Dazu lädt das Team interessierte Promotionsstudierende sowie erfahrene Postdocs für gemeinsame Projekte ein. Im Laufe des Jahres plant der 38-jährige Wissenschaftler auch die Betreuung von Bachelor- und Master­arbeiten sowie Lehr­veranstaltungen.

TU Dresden / DE

 

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