Raketenflug mit Fingerspitzengefühl
Beim Shefex-Projekt wurde hitzebeständige Faserkeramik beim Wiedereintritt in die Atmosphäre getestet.
Raketenflug mit Fingerspitzengefühl
Beim Shefex-Projekt wurde hitzebeständige Faserkeramik beim Wiedereintritt in die Atmosphäre getestet.
Andoya (dpa) - Für Laien wirken Raketenstarts im norwegischen Andoya wie eine Kreuzung aus Space-Shuttle und Silvesterrakete. Flüge wie das «Shefex»-Projekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Donnerstagabend haben aber einen handfesten wissenschaftlichen Hintergrund.
«Extrem hitzebeständige Faserkeramik kommt auf den rund 1600 Grad heißen Prüfstand, wenn die Rakete mit 6000 Stundenkilometern wieder in die Atmosphäre hineinrast», sagt Hendrik Weihs vom DLR-Institut für Bauweisen und Konstruktionsforschung in Stuttgart. Der Flug dauert insgesamt nur rund acht Minuten.
Als die Rakete aus der Startrampe donnert, wandelt sich Spannung im Kontrollzentrum schlagartig in extreme Hektik: John Turner, DLR- Spezialist für Raketensteuerung, korrigiert die Flugbahn mit schnellen Tastendrucken. Rauschige Bilder einer Kamera an Bord der Rakete liefern einen Anhaltspunkt, wie die Rakete fliegt. Das Manöver ähnelt - grob verglichen - dem Versuch, durch den Blick in einen vereisten Rückspiegel einzuparken - aber bei 6000 Stundenkilometern.
Turner richtet die Rakete so aus, dass sie die gewünschte Position beim Wiedereintritt hat. Dank dafür kommt nach der Landung von den Kollegen ringsherum. Als feststeht, dass zahlreiche Sensoren ihre Messwerte zu Temperatur, Druck und anderen Parametern wie gewünscht übertragen haben, löst sich die Spannung.
«Wir haben zahlreiche Daten, jetzt beginnt die detaillierte Auswertung», zieht DLR-Projektleiter Norbert Püttmann ein erstes Fazit. Obwohl der «Shefex»-Flugkörper nach der Landung im Meer versinkt, ist die Mission keinesfalls ein Fehlschlag: Entscheidend sind die Messwerte - und die sind vom Start bis kurz vor dem Sturz ins Wasser perfekt aufgezeichnet.
«Wir haben die Vorstellung vom scharfkantigen Raumschiff», gibt Püttmann einen Ausblick, wie die Wärmeschutztechnik zum Einsatz kommen könnte. Darauf weist auch das Kunstwort «Shefex» hin: «Sharp Edge Flight Experiment» - sinngemäß übersetzt mit «Scharfkantigem Flugkörper». Derzeit sind die abgerundeten Hitzeschutzschilde schwer herzustellen und noch aufwendiger in Stand zu setzen: Rund 30 000 unterschiedliche Kacheln, so erzählt Püttmann, gebe es allein beim Space Shuttle.
Die «Shefex»-Mission ist ein Mannschaftsspiel: Entwickelt und gebaut wurde der 80 Zentimeter lange und 40 Zentimeter breite Flugkörper von DLR-Ingenieuren in Stuttgart. Die aerodynamische und thermische Seite übernahm das DLR-Zentrum Braunschweig. Die Antriebsstufen der Rakete stammen aus Brasilien und den Vereinigten Staaten. Gestartet wird in Nordnorwegen, die Forschungsstation dort liegt auf einer Insel am Nordmeer.
Das Geheimnis bei «Shefex» liegt neben dem neuartigen Material in der Aerodynamik: Bis zur Schallgeschwindigkeit von rund 1000 Stundenkilometern ist eine tropfenähnliche Form gut geeignet. Für Über- und Hyperschallflüge ist dagegen eine spitze Nase ideal. Rast ein Flugzeug oder Raumschiff mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit, erhitzt sich das Material an der Spitze extrem. Zum Schutz des Raumschiffes setzten Konstrukteure zunächst auf eine stumpfe Nase. Mit «Shefex» haben die DLR-Spezialisten eine Lösung für den Wunsch nach «spitz und schnell» entwickelt.
Im internationalen Vergleich sehen sich die DLR-Wissenschaftler nach Einschätzung von Püttmann gut aufgestellt: «Mit unserer Technik sind wir weltweit führend.»
Heiko Stolzke, dpa
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