10.12.2020

Rechnen mit magnetischen Wellen

Neuer Ansatz für eine Hardware für neuromorphe Computer.

Neuronale Netzwerke ahmen die Funktions­weise des menschlichen Gehirns nach. Bislang laufen sie als lernfähige Software auf herkömm­lichen Prozessoren. Doch die Fachwelt arbeitet an einem alternativen Konzept, dem „neuromorphen Computer“. Hier werden die Schaltstellen des Gehirns nicht per Software simuliert, sondern von Hardware-Bauteilen nachgebildet. Eine Gruppe am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf HZDR zeigt nun einen neuen Ansatz für eine solche Hardware auf – magnetische Wellen, die gezielt in mikrometer­kleinen Scheiben erzeugt und aufgeteilt werden. Damit könnten sich in Zukunft Optimierungs­aufgaben und Muster­erkennung schneller und energieeffizienter erledigen lassen.

Abb.: Prinzip des neuro­morphen Computers: Schalt­stellen des Gehirns werden...
Abb.: Prinzip des neuro­morphen Computers: Schalt­stellen des Gehirns werden mit magne­tischen Wellen nach­gebildet, die in mikro­skopisch kleinen Magnet­scheiben gezielt durch nichtlineare Prozesse erzeugt und aufgeteilt werden. (Bild: Sahneweiß / H. Schultheiß, HZDR)

Als Basis verwendet das Team eine winzige, wenige Mikrometer messende Scheibe aus magnetischem Eisen-Nickel. Um diese Scheibe herum ist ein Goldring angebracht: Von einem Wechsel­strom im Gigahertz-Bereich durchflossen, strahlt er Mikrowellen ab, die in der Scheibe Spinwellen anregen. „Die Elektronen im Eisen-Nickel besitzen einen Spin, eine Art Eigendrall ähnlich wie bei einem Kreisel“, erläutert Helmut Schultheiß, Leiter der Emmy Noether-Gruppe „Magnonik“ am HZDR. „Mit den Mikrowellen-Impulsen bringen wir die Elek­tronen-Kreisel ein wenig aus dem Takt.“ Anschließend geben die Elektronen diese Störung an ihre jeweiligen Nachbarn weiter – was zur Folge hat, dass eine Spinwelle durchs Material jagt. Dadurch lassen sich Infor­mationen überaus effizient transportieren, ohne dass sich Elektronen bewegen müssen, wie es heute in einem Computerchip geschieht.

Bereits 2019 stellte die Gruppe um Schultheiß etwas Bemerkens­wertes fest: Unter bestimmten Umständen lässt sich die in der Magnetscheibe erzeugte Spinwelle aufspalten, und zwar in zwei Wellen von jeweils geringerer Frequenz. „Grund dafür sind nichtlineare Effekte“, erläutert Schultheiß´ Kollege Lukas Körber. „Sie werden erst dann wirksam, wenn die einge­strahlte Mikrowellen­leistung über einer bestimmten Schwelle liegt.“ Dieses Verhalten macht die Spinwellen zu aussichtreichen Kandidaten für künstliche Neuronen, denn es gibt eine verblüffende Parallele zur Arbeitsweise des Gehirns: Auch dessen Neuronen feuern erst, wenn eine gewisse Reizschwelle über­schritten ist.

Allerdings konnten die Wissen­schaftler das Aufteilen der Spinwelle anfangs nur ungenau steuern. Der Grund: „Wenn wir die Mikrowelle in die Scheibe schickten, teilte sich die Spinwelle erst mit einer gewissen Verzögerung in zwei neue Wellen auf“, erzählt Körber. „Und dieser Zeitverzug war nur schlecht unter Kontrolle zu bringen.“ Also musste sich das Team einen Trick einfallen lassen: Zusätzlich zum Goldring wird ein kleiner magne­tischer Streifen in die Nähe der Magnetscheibe gebracht. Ein kurzes Mikrowellen-Signal erzeugt in diesem Streifen eine Spinwelle. Diese kann mit der Spinwelle in der Scheibe wechsel­wirken und dadurch als eine Art Lockvogel fungieren: Die Spinwelle im Streifen motiviert die Welle in der Scheibe dazu, sich schneller aufzuteilen. „Ein ganz kurzes Zusatzsignal genügt, dass das Aufteilen deutlich früher einsetzt“, erklärt Körber. „Dadurch können wir den Prozess nun gezielt auslösen und den Zeitversatz kontrol­lieren.“

Damit ist der Nachweis erbracht, dass die Spinwellen-Scheiben im Prinzip als künstliche Hardware-Neuronen taugen – sie schalten ähnlich wie die Nerven­zellen im Gehirn und lassen sich gezielt ansteuern. „Als nächstes wollen wir ein kleines Netzwerk aus unseren Spinwellen-Neuronen bauen“, kündigt Helmut Schultheiß an. „Dieses neuromorphe Netzwerk soll dann einfache Aufgaben lösen können, etwa simple Muster erkennen.“ Die Muster­erkennung zählt zu den wichtigsten Anwendungen in der künstlichen Intelligenz. Beispiels­weise macht die Gesichts­erkennung auf dem Smartphone die Eingabe eines Passworts überflüssig. Damit das funktioniert, muss im Vorfeld ein neuronales Netzwerk trainiert werden, was eine enorme Rechen­leistung und gewaltige Datenmengen erfordert. Die Smartphone-Hersteller übertragen dieses Netzwerk auf einen Spezialchip, der dann im Handy verbaut wird. Doch dieser Chip besitzt ein Manko: Er ist nicht lernfähig, weshalb er beispiels­weise keine Gesichter mit Corona-Maske erkennen kann.

Ein neuromorpher Computer dagegen könnte auch mit solchen Situationen umgehen: Seine Bauelemente sind im Gegensatz zu einem konven­tionellen Chip nicht fest verdrahtet, sondern funk­tionieren ähnlich wie die Nervenzellen im Gehirn. „Dadurch könnte ein neuro­morpher Rechner ähnlich wie der Mensch große Datenmengen gleichzeitig verarbeiten, und zwar sehr energie­effizient“, schwärmt Schultheiß. Außer für die Muster­erkennung würde sich der neue Rechnertyp für ein weiteres wirt­schaftlich relevantes Feld anbieten: für Optimierungs­aufgaben wie die hochpräzise Routenplanung auf dem Smartphone.

MPG / JOL

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