Schlüsselqualifikationen benennen
Die Inhalte eines Physikstudiums gehen weit über Mechanik, Elektrodynamik oder Quantenmechanik hinaus. Von René Matzdorf.
Physik Journal – Die Inhalte eines Physikstudiums gehen weit über Mechanik, Elektrodynamik oder Quantenmechanik hinaus. Von René Matzdorf.
Seit einigen Jahren läuft die Umstellung unserer renommierten Diplomstudiengänge auf das neue Bachelor- und Master-System.1 Angesichts der neuen Studienstrukturen haben viele Kollegen große Skepsis und Vorbehalte geäußert. Sich gegen den Bologna-Prozess zu stellen und eine deutsche Insellösung anzustreben, wäre jedoch sicher nicht sinnvoll gewesen. Daher kann das Ziel nur darin bestehen, die Möglichkeiten des neuen Systems für die Physik möglichst optimal auszunutzen, um auch unter neuem Namen Studiengänge zu etablieren, wie wir Physiker sie uns vorstellen.
Die Physik ist in der glücklichen Lage, dass die Konferenz der Fachbereiche Physik (KFP) Rahmen für Inhalte und Umfang von Theorie, Experimentalphysik, Mathematik und Praktika vorgegeben hat, welche die ASIIN in ihre Begutachtungsgrundlage übernommen hat. Ganz wichtig war auch, die einjährige Forschungsphase analog zur Diplomarbeit zu erhalten. Damit wurden wichtige Strukturen des Diploms übernommen. Zudem bietet das neue System mehr Möglichkeiten, als auf den ersten Blick sichtbar sind. So sind beispielsweise übergreifende Prüfungsmodule möglich, in denen physikalisches Verständnis über die Grenzen von Modulen hinweg abgefragt wird (z. B. eine mündliche Prüfung über Klassische Physik und später eine über Atom-, Molekül- und Quantenphysik). Der Wegfall des Vordiploms, den viele bedauern, lässt sich so teilweise kompensieren.
Über eine Umwandlung der Diplomstudiengänge in möglichst äquivalente Bachelor- und Masterstudiengänge hinaus, bietet das neue System auch Chancen, von denen wir aus meiner Sicht in der Physik profitieren können. Dazu zählt meiner Überzeugung nach insbesondere die Outcome-orientierte Formulierung von Studienzielen mithilfe von Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen. Dahinter verbergen sich übergreifende Lernziele, losgelöst von den fachlichen Inhalten.2 Eine Physikerin oder einen Physiker zeichnet am Ende des Studiums nicht die Fähigkeit aus, Übungsaufgaben zu lösen, sondern etwas ganz anderes. Junge Menschen, die sich für ein Studium interessieren, werden sich in Zukunft genau informieren, welche Berufswege ihnen mit welchen Fächern offen stehen. Die Physik hat dabei sehr viel zu bieten – wir müssen es nur sagen. So ist es für das Physikstudium durchaus typisch, dass wir neben den elementaren physikalischen Grundkenntnissen viele Fertigkeiten eher am Rande der Veranstaltungen vermitteln. Dazu gehört, dass die Studierenden z. B. lernen, analytisch zu denken, Messinstrumente einzusetzen, theoretische Methoden zu verwenden, Messapparaturen zu konstruieren, Messergebnisse zu bewerten, wissenschaftlich zu arbeiten usw.
Insbesondere vermitteln wir auch viele der so genannten Schlüsselqualifikationen innerhalb unserer Veranstaltungen und während der Forschungsphase. Dazu zählen Teamfähigkeit, internationale Erfahrung, Umgang mit Fachliteratur, Halten von Vorträgen, Fähigkeit zum lebenslangen Lernen, verantwortliches Handeln usw. Viele dieser für die Berufstätigkeit wichtigen Fähigkeiten erwerben Physikerinnen und Physiker gerade in der Forschungsphase, wobei die Integration der Studierenden in die Arbeitsgruppen eine tragende Rolle spielt. So lernen Studierende im Physikstudium z.B., ihr eigenes Forschungsprojekt zu managen, ohne dass dafür eigene Veranstaltungen über Projektmanagement nötig wären.
Die Struktur sowohl der alten als auch der neuen Physikstudiengänge bildet Kompetenzen bei den Studierenden heraus, die sie zu relativ universell einsetzbaren Arbeitskräften mit breitem naturwissenschaftlich-mathematisch-technischem Basiswissen macht. Der Arbeitsmarkt bestätigt die Fähigkeiten der Absolventen dadurch, dass unter Physikerinnen und Physikern beinahe Vollbe-schäftigung herrscht. Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen explizit zu nennen, bietet die Möglichkeit, Arbeitgebern gegenüber die Qualitäten der Absolventen noch transparenter zu machen. Den Lehrenden machen die Studien¬ziele immer wieder bewusst, was neben dem fachlichen Inhalt in den Veranstaltungen zusätzlich wichtig ist. Den Studierenden ist klarer, wie sich ihre Kompetenzen im Laufe des Studiums entwickeln sollten, und für Schüler und Abiturienten wird das Physikstudium reizvoller. Es reicht eben nicht, nur über Mechanik, Elektrodynamik und Quantenmechanik als Studieninhalte zu sprechen.
René Matzdorf
Fußnoten:
- vgl. Physik Journal, Oktober 2007, S. 27
- In den „Anforderungen und Verfahrensgrundsätzen“ der ASIIN sind auf Seite 11–14 generelle Studienziele auf Bachelor- und Masterniveau formuliert. In den „Fachspezifisch ergänzenden Hinweisen“ finden sich spezifische Studienziele für die Physik. vgl. www.asiin.de.
Prof. Dr. René Matzdorf ist Vorsitzender des Fachausschusses Physik der ASIIN (Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaften, der Informatik, der Naturwissenschaften und der Mathematik e.¿V.) und Physikprofessor an der Universität Kassel
Quelle: Physik Journal, Dezember 2008, S. 3
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