Sehnen, stark wie Drahtseile

Kontraktionsspannung ist hundertfach stärker ist als die von Muskelkraft.

Neue Eigenschaften des Kollagens hat ein Forscherteam am MPI für Kolloid- und Grenz­flächen­forschung entdeckt: Während der Einlagerung von Mineralen in Kollagen­fasern entsteht eine Kontraktions­spannung, die hundert­fach stärker ist als die von Muskel­kraft. „Dieser univer­selle Mechanismus der Minerali­sation von organischen Faser­geweben könnte auf technische Hybrid­materialien über­tragen werden, um dort beispiels­weise eine hohe Bruch­festig­keit zu erreichen,“ sagt Peter Fratzl vom MPIKG.

Abb.: Kollagen­faser­bündel nach der Minera­li­sa­tion mit...
Abb.: Kollagen­faser­bündel nach der Minera­li­sa­tion mit Strontium-Karbonat. (Bild: MPIKG)

Das faserbildende Struktur­protein Kollagen kommt unter anderem in Sehnen, der Haut und Knochen vor. Die Festigkeit von Knochen beruht auf dem struktu­rellen Zusammen­spiel von weichen, organischen Kollagen­fasern und den darin eingebetteten harten, kristal­linen Mineral­partikeln, demnach einem Hybrid­material. Durch das Kollagen bekommen die Mineral­partikel eine aktive Vorspannung. Einen vergleich­baren Mechanismus nutzen Bau­ingenieure in Spannbeton, um mit Hilfe von hochfestem Stahl Beton vorzuspannen und damit riss­resistente Bauelemente herzu­stellen. „Auch aus medizi­nischer und biologischer Sicht ist es interessant zu verstehen, was beim Prozess der Minerali­sation in Knochen passiert,“ sagt Wolfgang Wager­maier, Gruppen­leiter am MPIKG. „Viele Knochen­krank­heiten gehen mit Veränderungen des Mineral­gehalts in Knochen und dadurch veränderten Eigen­schaften einher.“

Am MPIKG hat eine Forscher­gruppe um den chinesischen Gast­forscher Hang Ping jetzt entdeckt, dass die künstliche Einlagerung von unter­schied­lichen Mineralen in Kollagen­fasern zu einer Verkürzung dieser Fasern mit Spannungen von bis zu hundert Kilogramm pro Quadrat­zenti­meter führt. Das entspricht etwa dem Hundert­fachen von Muskel­kraft. Die damit einher­gehenden Verände­rungen der Kollagen­struktur wurden mittels Röntgen­beugung am Synchrotron BESSY II in Berlin-Adlershof beobachtet, während die Minera­li­sation statt­findet. Dieses Zusammen­ziehen der Fasern geschieht offenbar bei der Mineral-Einlagerung in das Kollagen und setzt damit das Mineral unter enormen Druck, was die Bruch­festig­keit des Komposit­materials erhöht.

Die Forschungsarbeit zeigt nicht nur, dass diese besondere Eigenschaft des Kollagens zur Festigkeit von minera­li­sierten Geweben wie Knochen beiträgt, sondern entwirft auch ein Konzept, das auf technische Hybrid­materialien mit heraus­ragenden mechanischen Eigen­schaften über­tragen werden kann. Gleich­zeitig tragen die Erkennt­nisse dieser Arbeit dazu bei, biologische Prozesse während der Minera­li­sation von Geweben und den Einfluss des Minera­li­sa­tions­grades auf makro­sko­pische Material­eigen­schaften besser zu verstehen.

MPIKG / RK

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