01.03.2022

Selbstorganisierte Nanostrukturen

Neue Strategie für die effiziente Fertigung nanoskaliger Objekte.

Makromoleküle wie zelluläre Strukturen oder Virus­kapside können ohne äußere Einflüsse aus kleinen Bausteinen entstehen und bilden dabei komplexe Raum­strukturen aus. Diese Selbst­organisation ist ein zentrales Merkmal biologischer Systeme. Auch in der Nanotechnologie werden solche Verfahren immer wichtiger, um Nano­partikel aufzubauen. Aus einzelnen Basen entstehen etwa beim DNA-Origami größere Strukturen. Doch wie lassen sich diese Reaktionen optimieren? Dieser Frage geht der LMU-Physiker Erwin Frey mit seinem Team nach. Die Forschenden haben nun einen Ansatz entwickelt, der auf dem Konzept der Zeit­komplexität beruht und neue Strategien für effi­zientere Synthesen komplexer Strukturen ermöglicht.

Abb.: Prinzip der Selbst­organisation eines eindimensionalen Rings aus...
Abb.: Prinzip der Selbst­organisation eines eindimensionalen Rings aus kleineren Bestand­teilen. (Bild: F. Gartner, LMU)

Die Zeit­komplexität beschreibt ursprünglich Probleme aus der Informatik. Dabei wird untersucht, wie der Zeitbedarf eines Algorithmus steigt, wenn mehr Daten zu verarbeiten sind. Der Aufwand könnte sich etwa bei doppelter Daten­menge verdoppeln, quadrieren oder mit noch höherer Potenz anwachsen. Schlimmsten­falls vergrößert sich die Laufzeit des Algorithmus so stark, dass in vertretbarer Zeit kein Resultat mehr ausgegeben wird. „Diesen Gedanken haben wir auf die Selbst­organisation übertragen“, erklärt Frey. „Unser Ansatz war: Wie ändert sich die Zeit zum Aufbau großer Strukturen, wenn die Zahl einzelner Bausteine anwächst?“ Nimmt man an, dass sich die erfor­derliche Spanne – wie im Pendant aus der Informatik – mit zunehmender Zahl an Komponenten sehr stark potenziert, wären keine sinnvollen Synthesen großer Strukturen möglich. „Das heißt, man möchte Verfahren entwickeln, bei denen die Zeit möglichst wenig von der Zahl der Komponenten abhängt“, erklärt Frey. 

Die Forschenden haben nun solche Zeit-Komplexitäts­analysen mit Hilfe von Computer­simulationen und Berechnungen durchgeführt und ein neues Verfahren zur Herstellung komplexer Strukturen entwickelt. Ihre Berechnungen zeigen: Unterschiedliche Strategien, komplexe Moleküle aufzubauen, haben ganz unterschiedliche Zeit­komplexitäten – und damit auch eine unter­schiedliche Effizienz. Manche Verfahren eignen sich besser, andere schlechter, um in der Nano­technologie komplexe Strukturen zu synthe­tisieren. „Unsere Zeit-Komplexitäts­analyse führt zu einer einfachen, aber aussage­kräftigen Beschreibung von Selbstmontage­prozessen, um präzise vorauszusagen, wie die Parameter eines Systems gesteuert werden müssen, um eine optimale Effizienz zu erreichen“, erklärt Florian Gartner, Mitglied in Freys Gruppe.

Das Team demonstrierte die Praktika­bilität des neuen Ansatzes an einem bekannten Beispiel aus der Nano­technologie: Die Wissen­schaftler analysierten, wie sich eine Virushülle mit hoher Symmetrie effizient herstellen lässt. Dabei führten zwei unterschiedliche Montage­protokolle bei geringem Zeitaufwand zu hohen Ausbeuten, wie Computer­simulationen zeigten. Bislang setzten Wissen­schaftler bei solchen Experimenten auf eine experimentell anspruchs­volle Methode, bei der Bindungs­stärken zwischen einzelnen Bausteinen modi­fiziert werden. „Im Unterschied dazu beruht unser Modell ausschließlich auf der Kontrolle der Verfüg­barkeit der einzelnen Bausteine und bietet daher eine einfachere und effek­tivere Möglichkeit, künstliche Selbst­organisations­prozesse zu regulieren“, erklärt Gartner.

Das neue Verfahren sei hinsichtlich seiner Zeit­effizienz vergleichbar, teilweise auch besser als etablierte Methoden. „Vor allem verspricht dieses Schema, vielseitiger und prakti­kabler zu sein als herkömmliche Montage­strategien“, berichtet der Physiker. „Unsere Arbeit stellt einen konzeptionell neuen Ansatz zur Selbst­organisation dar, von dem wir überzeugt sind, dass er für die Physik, die Chemie und die Biologie von großem Interesse sein wird“, so Freys Resümee. „Darüber hinaus liefert er konkrete Vorschläge für neue experi­mentelle Protokolle in der Nano­technologie, der synthetischen und der molekularen Biologie.“

LMU / JOL

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