Signale von seltsamen Sternleichen
Astrophysiker berechnen, wie man Neutronensterne aus ungewöhnlicher Materie aufspüren könnte.
Astrophysiker berechnen, wie man Neutronensterne aus ungewöhnlicher Materie aufspüren könnte.
Neutronensterne zählen zu den faszinierendsten Objekten im Universum. In den nur zehn Kilometer großen Überresten kollabierter, massereicher Sterne herrscht eine so hohe Dichte, dass ein Fingerhut von "Neutronensternstoff" auf der Erde hundert Millionen Tonnen wiegen würde. Der Zustand der Materie im Innern dieser Exoten ist ungeklärt. Jetzt haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Astrophysik zusammen mit Kollegen der Universitäten in Frankfurt, Heidelberg und Jena am Computer die Kollision von zwei Neutronensternen nachgestellt. Die dabei entstehenden Signale könnten helfen, das Rätsel zu lösen.
Abb.: Kosmische Katastrophe am Computer: Zwei Sterne aus seltsamer Quarkmaterie verschmelzen nach rascher Annäherung zu einem sehr schnell rotierenden Superstern, der nach einer kurzen Zeit heftiger Vibrationen schließlich zum Schwarzen Loch kollabieren wird. Anders als bei Neutronensternen bilden sich sehr dünne Spiralarme aus, deren Struktur mit den besonderen Eigenschaften der Quarkmaterie zusammenhängt. Von den Enden dieser Spiralarme werden Klümpchen seltsamer Materie in den interstellaren Raum injiziert und sollten mit der kosmischen Strahlung auch die Erde erreichen. (Bild: A. Bauswein et al. / Visualisierung: Markus Rampp, Rechenzentrum Garching)
Die Kerne der Atome, aus denen die uns vertraute Materie besteht, setzen sich aus positiv geladenen Protonen und elektrisch neutralen Neutronen zusammen. Diese wiederum sind aus noch fundamentaleren Bausteinen, den Quarks, aufgebaut. In Neutronen und Protonen (Nukleonen) kommen lediglich die zwei leichtesten der sechs bekannten Arten von Quarks vor: die up- und down-Quarks. Um die anderen Quarks auf der Erde zu erzeugen, benötigen Physiker große Beschleuniger wie den Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Teilchenforschungslabor CERN nahe Genf.
Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass es im heutigen Weltall auch noch Quarks einer anderen Familie gibt, die strange-Quarks. Die "seltsamen" Teilchen sind deutlich schwerer als ihre Verwandten vom up- und down-Typ und zerfallen normalerweise sofort in diese energetisch günstigeren Quarks. Bei hohen Dichten können Objekte aber nicht aus up- und down-Quarks allein bestehen, sondern sie enthalten auch strange-Quarks. Solche Objekte wären aufgrund ihres niedrigen Energiezustands stabiler als Atomkerne. Es könnte sie in winzigen Klümpchen aus wenigen hundert Nukleonen geben, die mit der kosmischen Strahlung durch das Weltall fliegen und wegen ihrer Kleinheit "strangelets" genannt werden.
Seltsame Quarks könnten außerhalb der Teilchenlabore nur im Innern von Neutronensternen entstehen, die als extrem kompakte Überreste beim Gravitationskollaps von Sternen zurückbleiben. Solche Sternleichen wären dann gar keine Neutronensterne im engeren Sinn, sondern "seltsame Sterne" (strange stars). Diese kosmischen Exoten hätten etwa die 1,5-fache Masse unserer Sonne und einen Radius von rund zehn Kilometern (Sonnenradius: 695.700 Kilometer). Bei gleicher Masse wären sie noch kompakter als Neutronensterne, was ein charakteristisches Merkmal zu ihrer Identifizierung sein könnte. Denn im Gegensatz zu Neutronensternen wäre ihre Materie nicht nur durch Gravitationskräfte gebunden, sondern durch die starke Wechselwirkung der Quarks - weshalb seltsame Sterne viel schärfere Oberflächen hätten.
Astronomen suchen intensiv nach solchen seltsamen Sternen. Ihre Entdeckung wäre eine Sensation, würde sie doch bedeuten, dass es den stabilen, exotischen Grundzustand von Materie aus seltsamen Quarks tatsächlich gibt. Leider gestaltet sich die Fahndung sehr schwierig, weil die Forscher bisher nur bei wenigen Neutronensternen in Doppelsystemen die Massen genau messen und die Radien nur ungenau und unter unsicheren theoretischen Annahmen bestimmen konnten.
Ein Team aus Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Astrophysik und der Universität Jena sowie Kernphysikern der Universitäten in Frankfurt und Heidelberg zeigt nun einen anderen Weg, wie man die exotischen Sterne aufspüren könnte. Dazu untersuchten die Forscher mit Computermodellen die messbaren Signale, die bei der Kollision zweier Sterne aus seltsamer Materie in einem Doppelsystem erzeugt werden. Doppelsterne leben nicht ewig. Sie strahlen als bewegte Massen nach der Allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationswellen ab - Schwingungen der Raumzeit, die sich wellenartig ausbreiten. Dabei verlieren die sich umkreisenden Sterne allmählich Energie. Deshalb schrumpft ihr Abstand stetig, sodass sie immer schneller umeinander wirbeln. Die Gravitationswellenabstrahlung steigt ständig weiter, bis die Sterne in einer finalen Katastrophe ineinander stürzen.
Wenn das passiert, kommt es zu einem heftigen Ausbruch von Gravitationswellen. Er klingt ab, wenn der aus der Sternverschmelzung hervorgegangene, wild vibrierende und superschwere Körper langsam zur Ruhe kommt und schließlich zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Die Modellrechnungen des Physikerteams zeigen nun, dass eine ganze Reihe von Eigenschaften des Gravitationswellensignals sich dazu eignen, gewöhnliche Neutronensterne von seltsamen zu unterscheiden. Weil seltsame Quarksterne kompakter sind als Neutronensterne, haben ihre Schwingungen und die abgestrahlten Gravitationswellen tendenziell höhere Frequenzen - ähnlich wie eine kleine Glocke einen helleren Ton erzeugt als eine große.
Die kosmischen Kollisionen von zwei Sternen aus Neutronen oder seltsamer Materie sollten sich nach Schätzungen der Astrophysiker in Galaxien wie der Milchstraße im optimistischen Fall einmal alle 10.000 Jahre ereignen. Das ist natürlich viel zu selten, um es in unserer eigenen Welteninsel zu erwarten. Allerdings werden die großen Gravitationswellenantennen - etwa das vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik betriebene GEO600-Instrument bei Hannover oder das LIGO-Experiment in den USA - in wenigen Jahren so weit aufgerüstet sein, dass sie die schwachen Signale auch aus dem Virgo-Galaxienhaufen in 65 Millionen Lichtjahren Entfernung auffangen können, wo sich Tausende von Galaxien tummeln.
Aber selbst dann wird für eine solche Gravitationswellenmessung ein bisschen Glück nötig sein. Gut daher, dass die Ergebnisse des Forscherteams eine weitere interessante Möglichkeit aufzeigen. Die kosmischen Sternkollisionen schleudern nämlich Materie in die stellare Umgebung. Falls die aufeinander prallenden seltsamen Sterne nicht zu kompakt sind, können so etliche Erdmassen als kleine Klümpchen seltsamer Quarkmaterie in die den Weltraum durchflutende kosmische Teilchenstrahlung injiziert werden.
Mit einem im kommenden Jahr auf der Internationalen Raumstation (ISS) geplanten Experiment, dem Alpha Magnetic Spectrometer (AMS-02), wollen die Forscher nach solchen exotischen Bestandteilen der kosmischen Strahlung fahnden. Sollte AMS-02 die strangelets finden, wäre die erhoffte Sensation perfekt. Aber selbst wenn dies ausbleibt, lassen sich mittels der Berechnungen der Astro- und Kernphysiker den Messungen noch nützliche Informationen über die Eigenschaften möglicher Quarksterne entlocken. In jedem Fall wird daher die Spannung steigen, wenn das neue Experiment auf den Weg zur ISS geht.
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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AL