Ein Forschungsteam der Empa und der ETH Zürich hat Einkristalle aus Blei-Halogenid-Perowskiten entwickelt, die radioaktive Strahlung sehr exakt messen können. Sie lassen sich aus wässrigen Lösungen oder günstigen Lösungsmitteln herstellen. Erste Experimente haben gezeigt, dass solche Kristalle ebenso gut funktionieren wie die bisher gebräuchlichen Halbleiter aus Cadmiumtellurid, deren Herstellung wesentlich aufwändiger ist. Die Entdeckung könnte den Preis vieler Radio-Detektoren deutlich senken – etwa bei Scannern im Sicherheitsbereich, bei tragbaren Dosimetern in Kraftwerken und bei Messgeräten in der medizinischen Diagnostik.
Abb.: Bleihalogenid-Einkristall (Bild: Empa)
Wenn instabile Isotope zerfallen, entstehen fast immer Gammastrahlen. Um radioaktive Substanzen zu erkennen, braucht es also Gamma-Detektoren, die günstig und hochempfindlich sind und bei Raumtemperatur arbeiten. Geeignete Substanzen zu finden, ist nicht ganz einfach, wie Maksym V. Kovalenko, Professor an der ETH Zürich und Forschungsgruppenleiter an der Empa erläutert: Der gesuchte Kristall, der bei Raumtemperatur Gammastrahlen erkennt, muss eine hohe elektronische Qualität besitzen. Das heißt, die Ladungsträger im Kristall müssen äußerst mobil sein und eine lange Lebensdauer besitzen, um das Signal in Form eines elektrischen Impulses zuverlässig weiterzuleiten.
Außerdem muss der Kristall aus schweren Elementen bestehen, damit er die energiereiche Gammastrahlung überhaupt einfangen kann. Und schließlich muss es möglich sein, aus dem gewünschten Stoff große Einkristalle wachsen zu lassen, die unempfindlich gegen Bruch und Temperaturschwankungen sein müssen.
Bisher war vor allem Cadmiumtellurid für diese Eigenschaften bekannt. Doch der Stoff, aus dem man auch Dünnschicht-Solarzellen produziert, ist nicht wasserlöslich und schmilzt erst bei über 1000 Grad Celsius. Die Herstellung von Detektor-Kristallen ist daher aufwändig und teuer. Kovalenko und seinem Forscherteam ist es nun gelungen, Halbleiterkristalle einer anderen Stoffklasse (Blei-Halogen-Perowskite) in klassischer Becherglas-Chemie herzustellen. Die hochempfindlichen Detektorkristalle können Gammastrahlen sichtbar machen, kosten jedoch nur wenige Schweizer Franken pro Kristall.
Eine mögliche Anwendung wäre ein Mini-Geigerzähler, der an Smartphones angeschlossen werden kann. So könnten Menschen in radioaktiv verseuchten Gebieten zum Beispiel jedes ihrer Lebensmittel einzeln auf Radioaktivität testen.
Ein weiteres mögliches Anwendungsgebiet der neuen Kristalle ist die Diagnostik von Stoffwechselproblemen im Gehirn. Störungen an Dopamin-Rezeptoren können viele Folgen haben: Parkinson, Schizophrenie, Hyperaktivität (ADHS), soziale Angststörungen oder Drogen- und Alkoholsucht. Diagnostiziert werden solche Störungen, indem Patienten radioaktive Tracer-Substanzen verabreicht werden, die in der Magnetresonanztomographie Hirnaktivitäten sichtbar machen. Das Verabreichen radioaktiver Substanzen ist nicht ungefährlich: Ist die Substanz unrein, drohen Gesundheitsschäden. Das Überprüfen der Reinheit muss jedoch sehr schnell geschehen, weil die Tracer-Substanz eine geringe Halbwertszeit hat, also rasch zerfällt.
Um die Fähigkeiten der Blei-Halogen-Perowskite zu demonstrieren, hat Kovalenkos Team den neuen Einkristall-Detektor für die Isotopenreinheitskontrolle von 18F-Fallyprid eingesetzt, eine Tracer-Substanz, die klinisch in Studien über Dopamin-Rezeptoren benutzt wird. 18F-Fallyprid ist radioaktiv und hat eine Halbwertszeit von 110 Minuten – es bleibt also zwischen Herstellung und Injektion nur wenig Zeit, die Substanz auf ihre radiochemische Reinheit zu untersuchen.
Bisher werden die Messungen in einem aufwändigen, zweistufigen Prozess durchgeführt: Zuerst wird die Substanz mit dem Hochleistungsflüssigkeitschromatographie-Verfahren getrennt, in einem zweiten Schritt dann die Radioaktivität mit einem Detektor gemessen. Mit dem neuen Einkristall ließ sich dieser zweistufige Prozess erfolgreich auf einen einzigen, einfachen Schritt reduzieren. Der Kristall muss lediglich vor die Tracer-Substanz gehalten werden, dann lassen sich die Ergebnisse auf dem angeschlossenen Messgerät ablesen.
Empa / DE