Sterne mit angehaltener chemischer Uhr
Gemessenes Alter einer Gruppe roter Riesensterne widerspricht Standardmodellen der galaktischen Entwicklung.
Die Geschichte der Milchstraße lässt sich anhand der Häufigkeiten verschiedener chemischer Elemente, die in den Spektren von Sternatmosphären sichtbar sind, und aus der Bewegung der Sterne ablesen. Beide Faktoren sind zentral für die „Galaktische Archäologie“, die die Entwicklung der Milchstraße zum Gegenstand hat. Sie nutzt stellare Häufigkeitsverhältnisse zur indirekten Altersbestimmung von Sternen. Massereiche Exemplare, die nach kurzer Lebenszeit als Supernovae explodieren, reichern das interstellare Medium mit Sauerstoff und anderen Alpha-Elementen an. Masseärmere Sterne, die als Supernovae vom Typ Ia enden, leben länger und produzieren hingegen hauptsächlich Eisen. Die Zeitdifferenz zwischen der Anreicherung des interstellaren Mediums mit Alpha-Elementen und Eisen erlaubt Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Geburt eines Sterns – dies bezeichnen Astronomen als „Chemische Uhr“, die für viele Sterne funktioniert.
Abb.: Lage der von CoRoGEE untersuchten roten Riesen in der Milchstraße relativ zur Sonne. Die Sternsymbole kennzeichnen diejenigen Sterne, für die die chemische Uhr nicht funktioniert. Die Achsen geben die galaktische Breite und Abstand vom galaktischen Zentrum in Lichtjahren an. (Bild: F. Anders)
Ein erhöhtes Alpha-Eisen-Verhältnis garantiert jedoch nicht ein hohes Alter eines Sterns, berichtet jetzt ein internationales Team von Forschern unter Leitung von Cristina Chiappini vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam. Erst seit kurzem erlaubt die Asteroseismologie die präzise Altersbestimmung der Sterne. Die Methode basiert auf der Messung von Pulsationen und liefert so zusätzliche Informationen über das Alter eines Sterns. Die untersuchten Sterne erscheinen jung, obwohl sie im Vergleich zur Sonne mit Alpha-Elementen angereichert sind. Interessanterweise befinden sich die meisten dieser Sterne in den inneren Regionen der galaktischen Scheibe wo das Zusammenspiel zwischen Balken und Spiralarmen eine komplexe chemische Entwicklung zur Folge hat.
„Obwohl bereits ähnliche Sterne in anderen Stichproben früherer Veröffentlichungen enthalten waren, handelte es sich dabei nur um einige wenige. Das könnte erklären, warum diesen Sternen bisher nur so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde,“ erklärt Team-Mitglied Friedrich Anders. „Wir rechnen mit weiteren Hinweisen zur Herkunft dieser Sterne und der komplexen chemischen Evolution der Milchstraße durch zukünftige Beobachtungen,“ schließt Chiappini.
Die neuen Daten sind das Ergebnis einer Kollaboration einer hochauflösenden Infrarothimmelsdurchmusterung und Teil der Sloan Digital Sky Survey III mit dem Rote-Riesen-Team des Corot-Weltraumteleskops. Diese Kollaboration erlaubt die spektroskopische Nachbeobachtung hunderter roter Riesensterne mit seismischen Informationen. Nur damit ist es möglich, die inneren Regionen der galaktischen Scheibe und das Alter der Feldsterne zu bestimmen.
AIP / OD