Stickstoff bildet unter Hochdruck ungewöhnliche Strukturen
Neue Polynitride enthalten ring- und spiralförmige Kristallstrukturen.
Forscher der Universitäten Bayreuth und Linköping haben unter sehr hohem Druck zwei überraschende Verbindungen aus Stickstoff und dem Seltenerdmetall Yttrium hergestellt. Die neuen Polynitride enthalten ring- und spiralförmige Kristallstrukturen von Stickstoff, die bislang weder in Experimenten beobachtet noch in theoretischen Berechnungen vorhergesagt wurden. Sie sehen weit verbreiteten Strukturen von Kohlenstoffverbindungen ähnlich. Die Hochdrucksynthesen zeigen, dass die Vielfalt möglicher Stickstoffverbindungen und ihrer Strukturen weitaus größer ist, als das Verhalten von Stickstoffatomen unter normalen Bedingungen erwarten lässt.
Die Zahl der in der Natur vorkommenden Stickstoffverbindungen ist, verglichen mit der strukturellen Vielfalt von Kohlenstoffverbindungen, sehr gering. Das liegt vor allem daran, dass Stickstoffatome bei normalem Umgebungsdruck äußerst stabile Dreifachbindungen eingehen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich aber gezeigt, dass sich das Verhalten von Stickstoff unter sehr hohen Drücken erheblich verändert. Das Forschungsteam hat Nitride synthetisiert, die ungewöhnliche Strukturen aufweisen und in einigen Fällen technologisch sehr attraktive Eigenschaften – wie beispielsweise eine sehr hohe Energiedichte oder eine außerordentliche Härte – besitzen.
Die beiden neuen Yttrium-Nitride, YN₆ und Y₂N₁₁, wurden in einer laserbeheizten Diamant-Stempelzelle erzeugt. Bei einem Kompressionsdruck von hundert Gigapascal und bei einer Temperatur von etwa 2700 Grad Celsius kam es zu chemischen Reaktionen zwischen Yttrium- und Stickstoffatomen, die zu den neuen Verbindungen führten. Die Kristallstrukturen von YN₆ und Y₂N₁₁ weisen einzigartige Anordnungen von Stickstoffatomen auf.
YN₆-Kristalle enthalten flächige, symmetrisch aufgebaute Ringstrukturen, die als Makrozyklen bezeichnet werden. In jedem dieser Zyklen ist ein Yttriumatom von 18 sternförmig angeordneten Stickstoffatomen umgeben. Weitere Yttriumatome sorgen dafür, dass die Makrozyklen stabil übereinander liegen.
Y₂N₁₁-Kristalle wiederum enthalten zwei spiralförmige Ketten von Stickstoffatomen, die zusammen eine Doppelhelix bilden. Diese polynitrogene Doppelhelix eignet sich möglicherweise als Blaupause für die Synthese weiterer anorganischer Spiralstrukturen.
Entscheidend für den Nachweis dieser sehr ungewöhnlichen Strukturen waren neueste Techniken der Hochdruck-Synchrotron-Einzelkristall-Röntgenbeugung. Sie ließen unter anderem erkennen, dass die Stickstoffatome in den neuen Kristallstrukturen untereinander durch kovalente Bindungen verbunden sind, während es zwischen den Stickstoff- und den Yttriumatomen keine kovalenten Bindungen gibt.
Ring- und spiralförmige Kohlenstoffverbindungen sind in der organischen Chemie von zentraler Bedeutung. Die wenigen bisher bekannten Polynitride, in denen Stickstoffatome derartige Strukturen bilden, sind durchweg anorganische Verbindungen. Die Hochdrucksynthese von Y₂N₁₁ ist jetzt ein erneuter Beleg dafür, dass Stickstoff grundsätzlich das Potenzial hat, solche Struktureinheiten zu bilden.
U. Bayreuth / RK
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- Originalveröffentlichung
A. Aslandukov et al.: Anionic N₁₈ Macrocycles and a Polynitrogen Double Helix in Novel Yttrium Polynitrides YN₆ and Y₂N₁₁ at 100 GPa, Ang Ch. 2022, e202207469 (2022); DOI: 10.1002/anie.202207469 - Materialphysik und Technologie unter extremen Bedingungen, Labor für Kristallographie, Universität Bayreuth