24.07.2015

Stretching für Stromkabel

Fasern mit Hülle aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Aerogel behalten auch bei extremer Dehnung ihre Leitfähigkeit.

Nicht nur der sprichwörtliche Kabelsalat führt einem vor Augen, wie praktisch kurze, dehnbare Kabel wären, die man einfach in die gewünschte Länge ziehen kann. Auch zahlreiche Anwendungen in Medizin und Technik sind durch unflexible Kabel limitiert – vor allem, wenn diese Anwendungen elektrischen Strom benötigen, der durch diese Kabel fließen soll. Forschern der University of Texas in Dallas ist es in Zusammenarbeit mit chinesischen und brasilianischen Kollegen nun gelungen, ein hochelastisches Material zu entwickeln, das auch bei extremer Dehnung noch seine elektrische Leitfähigkeit behält – und dies auch bei wiederholter Belastung.

Abb.: Kohlenstoff-Nanofasern um einen langen Gummikern ermöglichen eine vielfache Streckung, mit nur einem geringen Verlust an Leitfähigkeit. Oben der Herstellungsprozess mit den entstehenden Wölbungen, unten Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop. (Bild: A. G. MacDiarmid, UT)

Die Wissenschaftler stellten ihre Nanofasern als Zweikomponenten-System her. Kern der Fasern ist ein gewöhnliches Styrol-Polymer. Dieses brachten die Forscher auf eine starke Vordehnung, indem sie es auf vierzehnfache Länge auseinander zogen. Dann umhüllten sie diesen Gummikern mit mehrwandigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen, einem sogenannten CNT-Aerogel. Wenn die Forscher die Fasern dann entspannten, zogen diese sich wieder auf ihre ursprüngliche Größe zurück. Dabei bildeten sich Wölbungen unterschiedlicher Größe heraus, sowohl in Richtung entlang der Faser wie orthogonal dazu. Dabei blieben die Wölbungen entlang des Umfangs bei einer Dehnung auch dann noch erhalten, als diejenigen längs der Faser bereits verschwunden waren. Dank dieses zweidimensionalen Wölbungs­verhaltens lassen sich auch bei einer Torsion der Fasern Ausrichtungsfehler zwischen Gummikern und Kohlenstoffhülle vermeiden.

Der Trick bei der Herstellung bestand darin, die Parameter so aufeinander abzustimmen, dass die Wölbungen unterschiedlicher Größe hierarchisch zur Dehnbarkeit beitragen. „Wir machen die unelastischen Kohlenstoff-Nanofaser-Hüllen unser Fasern sehr dehnbar, indem wir große Wölbungen mit kleinen Wölbungen modulieren“, erklärt Ray Baughman, Direktor des NanoTech Institute an der University of Texas in Dallas. Auf diese Weise können sowohl die größer als auch die kleiner dimensionierten Wölbungen zur Elastizität beitragen. Das Besondere an diesem eigentlich sehr einfachen Bausprinzip: Da die Elektronen sich innerhalb der hierarchisch gegliederten Wölbungen der Kohlenstoff-Nanofasern genauso bewegen wie entlang einer geraden Linie, bleibt der elektrische Widerstand gleich. Die Fasern zeigten dabei eine große Wider­stands­fähigkeit: Auch nach tausenden Streckungen behielten sie ihre Eigen­schaften bei.

Bei einer Streckung um den Faktor zehn änderte sich die elektrische Leitfähigkeit nur minimal und sank um etwa fünf Prozent. Auch beim Verbiegen oder Verdrillen zeigten die Fasern nur geringe Änderungen ihrer Leit­fähigkeit. Eine wichtige medizinische Anwendung für solche Kabel wären flexible Herzschritt­macher­sonden, die gegen äußere Einflüsse robuster als bisherige Modelle sind. Mit Hilfe der Kohlenstoff-Nanoröhren könnte man auch sehr elastische elektro­nische Schaltungen entwerfen, die sich entweder als tragbare Kleidung oder bei Robotern oder Exoskeletten einsetzen lassen. Die Forscher können sich aber auch alltäg­lichere Anwendungen vorstellen, wie etwa extrem dehnbare Kabel für elektronische Geräte.

Die dehnbaren Kabel lassen sich in unterschiedlichen Durchmessern anfertigen. Im Labor gelang es den Wissen­schaftlern, dünne Kabel mit Durchmessern von lediglich 150 Mikrometern herzustellen – aber auch wesentlich dickere. Eine typische Faserdicke lag bei zwei Millimetern, was sich bei maximaler Streckung auf etwa einen halben Millimeter reduzierte.

Aus den Fasern lassen sich aber auch Kondensatoren mit interessanten Eigenschaften herstellen. Hierzu überzogen die Wissenschaftler ihre Kabel mit einer weiteren Hülle aus Gummi und Kohlenstoff-Nanoröhrchen, was zu einem kapazitivem Widerstand zwischen den elektrisch leitenden Schichten führte, während der Gummi als Dielek­trikum diente. Bei einer Dehnung verringert sich nun der Abstand zwischen den Schichten und die Kapazität steigt dement­sprechend. Bei einer Streckung um knapp das zehnfache erhöhte sich die Kapazität der Faser um ganze 860 Prozent. Damit könnten sich einerseits ungewöhnliche Dehnungs­sensoren fabrizieren lassen. „Kein gegenwärtig verfügbarer Dehnungs­sensor arbeitet über einen so großen Bereich“, sagt Zunfeng Liu vom NanoTech Institute.

Wenn man solche doppelwandigen Fasern zu Spiralen aufwickelt, ließe sich auch die elektro­statische Anziehung der Fasern ausnutzen, um Torsions-Aktuatoren oder künstliche Muskeln zu realisieren, etwa für Anwen­dungen in der Mikro­fluidik. Die Forscher überlegen sich bereits kommer­zielle Anwen­dungen ihrer Faser. Da der Kern der Faser aus gewöhnlichem Gummi besteht, hält die Universität eine kommer­zielle Entwicklung in naher Zukunft für möglich. Lediglich die Hülle der Nano­röhrchen aus Kohlenstoff-Aerogel stellt eine ungewöhnliche Komponente dar.

Dirk Eidemüller

OD

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