Supernova SN 1987A feiert 25-Jähriges Jubiläum
Diese historische Sternstunde begründete nicht nur die moderne Neutrinoastronomie, sondern befruchtete auch so unterschiedliche Gebiete wie die Teilchenphysik, die Sternentwicklung, Plasmasimulationen und Theorien zur Elementsynthese.
Am 23. Februar 1987 entdeckten Neutrinoforscher des japanischen Kamiokande-Experiments, des amerikanischen IMB-Detektors und des russischen Baksan-Observatoriums für gerade einmal dreizehn Sekunden einen leichten Anstieg ihrer Messraten. Die Wissenschaftler ahnten zunächst wohl nicht, dass diese Messungen eine völlig neue Ära ihrer Disziplin einleiten sollten. Eine Supernova in der nahegelegenen Großen Magellanschen Wolke war aufgeleuchtet, und die Neutrinoforscher überprüften ihre Aufzeichnungsbänder: Zum ersten Mal hatte man extrasolare Neutrinos nachgewiesen – insgesamt waren es lediglich zwei Dutzend.
Abb.: Der Überrest der Supernova 1987A. (Bild: Eso, L. Calçada)
Aber nicht nur die Neutrinoforschung, auch zahlreiche andere Disziplinen erfuhren durch diese SN 1987A getaufte Supernova revolutionäre neue Erkenntnisse. Sie ist die erste und bislang einzige Supernova in unserer galaktischen Umgebung, die mit dem gesamten Instrumentarium der modernen Physik untersucht werden konnte. Die Teleskope der Astronomen kannten eine ganze Weile lang kein anderes Ziel mehr als diesen Flecken in knapp 160.000 Lichtjahren Entfernung in der Großen Magellanschen Wolke, einer Nachbargalaxie der Milchstraße.
Die letzte Supernova in vergleichbarer Nähe wurde zu Zeiten Keplers im Jahr 1604 beobachtet. Die heutige Astronomie entdeckt jährlich zwar Hunderte Supernovae in den Tiefen des Kosmos, doch sind diese meist viel zu weit entfernt, als dass man sie eingehender untersuchen könnte.
Den Ablauf der Supernova SN 1987A stellt man sich heute so vor: Der ausgebrannte und aus Eisen bestehende Kern eines blauen Riesensterns von ungefähr 15 Sonnenmassen kollabierte unter dem Druck seiner eigenen Schwerkraft in Sekundenbruchteilen zu einem Neutronenstern; man nennt dies eine Kernkollaps-Supernova vom Typ II. Bei einem solchen Kollaps werden extrem große Energiemengen frei, die den inneren Bereich des Sterns auf Dutzende Milliarden Kelvin aufheizen. Bei den nun einsetzenden hochenergetischen Prozessen entsteht eine Vielzahl energiereicher Neutrinos. Deren Wirkungsquerschnitt ist zunächst noch so groß, dass sie aufgrund der vielen Wechselwirkungen aus dem Sterninneren nur hinausdiffundieren. Dieser Abkühlungsprozess dauerte bei SN 1987A etwas über 10 Sekunden lang und transportierte 99 Prozent der freigewordenen Energie aus dem Sterninneren nach außen. Man vermutet heute auch, dass es die Wechselwirkung mit diesem ungeheuren Neutrinostrom ist, die die äußeren Schichten eines Supernova-Sterns dann so aufheizt, dass es überhaupt zu einer Explosion und nicht zu einer Implosion kommt. Der Neutronenstern im Inneren von SN 1987A ist bislang unsichtbar; offenbar handelt es sich also nicht um einen Pulsar.
Die viele Tausend Stundenkilometer schnelle Stoßfront der erhitzten Gasmassen erreichte bei SN 1987A dann erst drei Stunden nach dem Kernkollaps die Sternoberfläche. Neueste Simulationen zeigen, dass im Sterninneren von Supernovae komplexe und sehr turbulente Mischprozesse stattfinden, die die Zwiebelschalenstruktur kräftig durcheinanderwirbeln. Ausgedehnte Gasblasen aus radioaktivem Nickel (und anderen Elementen) von bis zu der hundertfachen Erdmasse, die durch Fusion in der Stoßfront entstehen, können so in die äußere Sternhülle gelangen, wo sie noch über Wochen starke Strahlung aussenden.
Da Neutrinomessungen einen zeitlichen Vorsprung vor diesen Prozessen haben, eignen sie sich hervorragend als Warnsystem für elektromagnetische Wellen. Mit zunehmender Sensitivität werden auch weiter entfernte Supernovae bis hin zum Andromedanebel den Neutrinomessungen zugänglich werden. Neutrinos unterliegen lediglich der schwachen Wechselwirkung und sind deshalb extrem durchdringende Teilchen: Von den gut 60 Milliarden solaren Neutrinos, die jede Sekunde durch eine Fläche groß wie ein Fingernagel strömen, interagiert nur ein Dutzend auf dem Weg durch die Erde mit einem Atomkern. Aus diesem Grund sind Neutrinos auch so schwer nachzuweisen. Gleichzeitig sind sie prädestinierte Boten aus massereichen Objekten wie etwa Sternen, da sie ein einzigartiges Fenster in das Zentrum dieser Objekte öffnen. Nur die noch in den Kinderschuhen steckende Gravitationswellen-Astronomie wird ein ähnlich durchdringendes Instrument liefern.
Man konnte auf Fotoplatten auch den Vorläuferstern von SN 1987A ausmachen; das ist heute erst bei einem Dutzend Supernovae gelungen. Auch für Matthias Steinmetz vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam war es eine „große Überraschung“ zu sehen, dass es sich hier um einen Blauen Riesen handelte, der wahrscheinlich Teil eines Mehrstern-Systems war. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass nur Rote Riesensterne, die am Ende ihrer stellaren Entwicklung stehen, in Supernovae explodieren können.
Offensichtlich hatte der Blaue Riese, den man nur als Übergangsstadium angesehen hatte, seine besten Jahre aber schon hinter sich gehabt. Wie Thomas Janka vom Max-Planck-Institut für Astrophysik Garching erläutert, ist wohl „die äußere, kühle, rot leuchtende Schicht des Sterns bei dessen Verschmelzung mit einem nahen Begleitstern abgestreift worden, so dass die heißeren, blau leuchtenden Schichten sichtbar wurden.“ Man konnte aus dieser Supernova also auch neue Einsichten in die Entwicklungsphasen und in die Alterseinstufung von Sternen gewinnen.
Die bei Supernova-Explosionen auftretenden hohen Neutronendichten tragen zur Elementsynthese in der chemischen Evolution bei. Nach neuesten Modellen sind Supernovae aber wohl nicht verantwortlich für die Erzeugung der extrem schweren Elemente wie Gold oder Uran im sogenannten r-Prozess (r für „rapid“); für deren Bildung könnte zumindest teilweise der um einen Faktor 1000 seltenere Prozess der Verschmelzung zweier Neutronensterne in einem Doppelstern-System in Frage kommen. Der spektrale Nachweis schwerer Elemente in ansonsten metallarmen Sternen (in der Astronomie heißt jedes Element schwerer als Helium „Metall“) deutet aber darauf hin, dass die Entstehung schwerer Elemente weiterhin unverstanden ist. Supernovae sind jedoch „kosmische Quirle“, sie verteilen durch ihre Explosionskraft die schweren Elemente in der galaktischen Umgebung und rühren die zirkumstellaren Gasnebel kräftig um. Damit sind sie entscheidend für die Bildung von nachfolgenden Sterngeneration ebenso wie für die Entstehung von Planeten.
Die abgestoßene Hülle (der „Supernova Remnant“) von SN 1987A weist einige Besonderheiten auf. Die asymmetrische Form, bei der die Achsen des Ringsystems und der Explosionswolke weit voneinander verschoben sind, deutet auf starke Turbulenzen hin. Ein besseres Verständnis von Kernkollaps-Supernovae könnte diese sogar als Ergänzung zu den als „Standardkerzen“ bezeichneten thermonuklearen oder Typ-Ia-Supernovae für die kosmische Entfernungsbestimmung etablieren – zumindest bis in mittlere Entfernungen. Bei letzterem Typ explodiert ein Weißer Zwerg, sobald er soviel Masse von einem größeren Begleitstern abgezogen hat, dass er die Chandrasekhar-Grenze überschreitet und vollständig explodiert, ohne einen Neutronenstern zu hinterlassen. Dies geschieht bei einer bestimmten Masse und erzeugt eine klar definierte Helligkeit.
Wie Wolfgang Hillebrandt vom Max-Planck-Institut für Astrophysik Garching berichtet, ließen sich aber in Zukunft wohl auch mit den in Stärke und Helligkeit stark variierenden Typ-II-Supernovae absolute Entfernungsbestimmungen bis hin zu einer Rotverschiebung von 0,3 durchführen; und dies mit einem prognostizierten Fehler von lediglich 2 Prozent. Durch Messung von Photonenfluss und -spektrum zu verschiedenen Zeiten lässt sich über die Geschwindigkeit der absolute Radius und die absolute Helligkeit errechnen und damit auch die absolute Entfernung bestimmen. Hierdurch hofft man, nicht nur die Hubble-Konstante (als gegenwärtige Expansionsrate des Universums) bis in den nichtlinearen Bereich hinein genauer als bislang möglich zu bestimmen, sondern auch die Expansionsgeschichte des Universums exakter zu vermessen. Bei stark asymmetrischen Supernovae wie SN 1987A ist dies zwar nicht möglich, bei regulär verlaufenden mit Roten Überriesen als Vorgängerstern aber schon.
Abb.: Der IceCube-Detektor im Antarktis-Eis. In 86 ins Eis geschmolzenen Röhren befinden sich die über 5000 Sensoren, die nach oben fallendes Streulicht von Neutrinos auffangen. Durch die Blickrichtung nach unten wird ausgeschlossen, das kosmische Strahlung von oben das Signal auslöst. (Bild: Desy Zeuthen)
SN 1987A läutete mit den Worten Christian Spierings vom Desy Zeuthen aber auch „die Geburtsstunde der modernen Neutrinoastronomie ein“. Aus der einstigen Spartenwissenschaft ist mittlerweile ein stetig wachsender Forschungszweig geworden. Auch die Dimensionen der Anlagen sind mitgewachsen – und zwar bis auf Kubikkilometer an Volumen, wie beim IceCube-Experiment in der Antarktis. Andere Anlagen sind auf niederenergetische Neutrinos spezialisiert und deshalb kleiner und lichtempfindlicher. Zu letzterem Typ gehört auch das Projekt Lena, ein 50 Kilotonnen-Flüssigszintillator, der in einer finnischen Mine aufgebaut werden soll und neben kosmischen Neutrinos auch Neutrinos aus einem Strahl des Cern in Genf nachweisen könnte.
Der Nachweis der Neutrinos von SN 1987A führte nebenbei nicht nur zur Bestimmung einer oberen Schranke für die Neutrinomassen (aufgrund der fehlenden Geschwindigkeitsdispersion, sonst wären die energiereicheren Teilchen früher angekommen), sondern auch zur Bestimmung ihrer Geschwindigkeit. Wären Neutrinos überlichtschnell, hätten sie die Erde um Wochen oder Monate, und nicht nur drei Stunden, vor dem Lichtsignal erreicht.
Die deutlich weiterentwickelten Methoden der heutigen Astronomie, die von SN 1987A angestoßen wurden, betreffen sehr unterschiedliche experimentelle und theoretische Gebiete. Überall auf der Welt warten Wissenschaftler darauf, ihre Instrumentarium an der nächsten Supernova in kosmischer Nachbarschaft ausprobieren zu können. Das zugleich Spannende und Ärgerliche ist nur, dass niemand weiß, ob sie sich in hundert Jahren ereignen wird oder vielleicht schon heute nacht.
Dirk Eidemüller
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