09.11.2023

Tief ins heiße Gestein

Hydraulische Stimulation im Tiefenlabor soll die Geothermie voranbringen.

In diesen Tagen startet das Feldexperiment zum Forschungsprojekt Georeal im Tiefenlabor des Kontinentalen Tiefbohrprogramms (KTB) in Windischeschenbach/Oberpfalz. Dabei wollen Wissenschaftler des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) Fragestellungen zur Durchlässigkeit des Gesteins im Kontext tiefe Geothermie testen. Es werden neueste Forschungsansätze von hydraulischer Stimulation, also zur Injektion von Wasser, im Kristallingestein bei Echtzeit-Überwachung der seismischen Aktivität zum Einsatz kommen. Diese Ansätze wurden zuletzt bei einem vergleichbaren Experiment in einer Tiefbohrung im Stadtgebiet von Helsinki erfolgreich getestet und sollen nun optimiert werden. Die Nutzung der Erdwärme in tiefen Gesteinsschichten ist ein wichtiger Baustein für eine regenerative Wärme- und Energieversorgung mit großem Potenzial in Deutschland. Das Georeal-Projekt wird durch zwei Besuchertage mit Vorträgen und Führungen vor Ort am Bohrplatz begleitet.


Abb.: Bohrlochseismometer warten auf ihren Einsatz am Standort der...
Abb.: Bohrlochseismometer warten auf ihren Einsatz am Standort der Kontinentalen Tiefbohrung KTB.
Quelle: GFZ

Am KTB-Standort existieren seit 1994 zwei tiefe Bohrungen. Sie stellen einen weltweit einmaligen Zugang zu Flüssigkeit in Gestein mit einer Temperatur von deutlich über 100 Grad Celsius dar, es geht also um ein petrothermales Fluidreservoir. Kristallines Grundgestein in mehr als drei Kilometer Tiefe ist typisch für weite Teile der Erdkruste Deutschlands, aber nur in der nördlichen Oberpfalz durch die zwei KTB-Bohrungen bis neun Kilometer Tiefe gut erforscht und für wissenschaftliche Experimente zugänglich. Dort, wo sich heute eine sanfte Hügellandschaft erstreckt, erhob sich vor über 300 Millionen Jahren ein gewaltiges Gebirge, dessen Gipfel mittlerweile aufgrund von Erosion abgetragen sind. Die Gebirgswurzel wurde in den beiden KTB-Bohrungen nachgewiesen. Die erbohrten Reste dieses Gebirges gleichen einer gigantischen Knautschzone im Untergrund, die heute noch über die damalige Kollision der Kontinentalplatten Auskunft geben. Dieser Bereich soll nun auf sein geothermisches Potential hin erforscht werden, indem Wasser unter Druck in das heiße Gestein injiziert wird („hydraulische Stimulation“).

Das Georeal-Team hat dazu eine Kette von hochempfindlichen Bohrloch-Seismometern – das sind Schwingungsmesser ähnlich wie Mikrofone – in der KTB-Hauptbohrung installiert, um das Georeal-Experiment in mehr als 3,8 km Tiefe in der KTB-Vorbohrung hochgenau zu dokumentieren. Zusätzlich wurden bis zu fünfzig weitere Seismometer an der Oberfläche rund um die KTB und in mehreren 150 Meter tiefen Bohrlöchern installiert. Die Daten der Seismometer werden zum Bohrplatz übertragen und dort in Echtzeit ausgewertet. „Nirgendwo sonst auf der Welt existieren zwei so tiefe Bohrungen mit 4000 und 9101 m Bohrtiefe direkt nebeneinander. Daher ist der KTB-Standort für das Projekt ausgezeichnet geeignet“, sagt die Projektleiterin Carolin Böse.

Mit dem neuen Experiment sollen einerseits die Prozesse im geothermischen Reservoir besser verstanden und andererseits existierende Fließwege, bestehend aus vielen sehr kleinen Rissen im Gestein, in mehreren Kilometern Tiefe aktiviert werden, ohne dabei spürbare seismische Aktivität an der Oberfläche auszulösen. Das dabei angewandte Verfahren der „adaptiven Stimulation“ basiert auf einer automatischen seismischen Echtzeit-Messung: Gezielt werden die Effekte von Druckaufbau und Ruhephasen während der Wasserinjektion auf die räumliche und zeitliche Ausbreitung der Wasserfront im Reservoir untersucht. Diese Fließwege werden angezeigt durch an der Oberfläche nicht spürbare und meist auch nicht messbare Mikroerdbeben.

Marco Bohnhoff, Leiter der GFZ-Sektion „Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren“ erläutert: „Die Erfassung dieses mikroseismischen Knisterns im tiefen Untergrund eröffnet uns die Möglichkeit, durch unmittelbare Anpassung der Pumpraten während des Experiments die Vorgänge in fast vier Kilometer Tiefe aktiv zu steuern und dabei diesen Bereich kontrolliert hydraulisch durchlässiger zu machen.“ Damit werden nahezu Laborbedingungen geschaffen, unten denen diese Prozesse bereits heute gesteuert werden können. Sollte dies dem Georeal-Team auch im Feldexperiment gelingen, dann kommt die Nutzung des geologischen Untergrundes für Wärmeförderung, aber auch zum Beispiel für die sichere Speicherung von Flüssigkeiten und Gasen ein gutes Stück voran.

Das Georeal-Experiment baut auf an der KTB bereits früher durchgeführten Injektionsexperimenten auf und nutzt deren Ergebnisse mit neuer Technologie. Zwischen 1994 und 2005 wurden insgesamt drei vergleichbare Experimente an der KTB durchgeführt, von denen zwei Injektionen im offenen Bohrlochabschnitt der KTB-Hauptbohrung über Tage bis Monate durchgeführt wurden. Vier Jahre später wurde eine Wasserförderung mit anschließender Wasserinjektion über jeweils knapp ein Jahr in der KTB-Vorbohrung vorgenommen. Bei diesen Experimenten kam es zu nicht spürbarer, induzierter Seismizität. Es wurden aber mehrere hundert Mikroerdbeben erfasst, die in unmittelbarer Nähe des stimulierten Bohrlochintervalls in drei und mehr Kilometern Tiefe auftraten. Das stärkste dieser Mikroerdbeben hatte eine Magnitude von 1,2, also unterhalb der menschlichen Wahrnehmbarkeitsschwelle, die bei etwa 2 liegt. Zum Vergleich: Täglich treten weltweit etwa 8000 Mikroerdbeben mit einer Magnitude von 1 bis 2 auf. Magnituden von bis zu 4 oder fast 5 kommen gelegentlich etwa achtzig Kilometer entfernt von der KTB im Eger-Becken vor. Diese sind dann deutlich spürbar und können auch zu Schäden in der Nähe des Epizentrums führen.

Nach Abschluss des Georeal-Experiments erwarten die Geowissenschaftler eine Verbesserung existierender Verfahren für die technische Umsetzung geothermischer Projekte am KTB-Standort und darüber hinaus. Georeal ist gleichzeitig der Startschuss für eine langfristige Reaktivierung der Forschung an dem historisch wichtigen Wissenschafts-Standort KTB in Windischeschenbach.

GFZ / DE

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