Tunnelzeit gemessen
Interferenzexperiment mit ultrakalten Atomen im Lichtgitter.
Beim quantenmechanischen Tunneln überwindet ein Teilchen eine Potentialbarriere, obwohl seine kinetische Energie kleiner ist als diese. Der Tunneleffekt tritt beim Kernzerfall und bei der Kernfusion ebenso auf wie in der Atomphysik, der Halbleiterelektronik und der Chemie. Ein Experiment mit einem Bose-
Abb.: Die Dynamik der Atome in den abrupt verschobenen Potentialmulden (Bild: A. Fortun et al.)
Die Schrödinger-
Doch in der Praxis benötigt der Tunnelprozess immer eine bestimmte Zeitspanne, da die Teilchen für kurze Zeit am Eingang der Tunnelbarriere verweilen. Diese Tunnelzeit hat man eingehend bei Ionisationsexperimenten mit Atomen in intensivem Laserlicht untersucht. Dabei wurde das Tunneln der Elektronen aus dem atomaren Potential auf Zeitskalen von Attosekunden beobachtet.
Jetzt hat das Team von David Guéry-
Abb.: Abhängigkeit der Tunnelzeit von der Verschiebung der Potentialmulden (bei 45° starten die Atome an den Wendepunkten des Potentials, bei 0° in den Minima, bei 90 ° auf den Maxima). (Bild: A. Fortun et al.)
Indem die Forscher die relative Phase der beiden Laserstrahlen abrupt änderten, konnten sie die Potentialmulden augenblicklich um eine bestimmte Strecke verschieben, sodass die Atome nicht mehr in einem der Potentialminima saßen, sondern sich plötzlich an einer der Potentialflanken befanden. Daraufhin wurden die Atome entweder reflektiert, sodass sie zum jeweiligen Potentialminimum gelangten, oder sie tunnelten in die nächste Potentialmulde.
Durch den „Potentialsprung“ aus der Ruhe gebracht, führten die Atome Oszillationen in den Potentialmulden aus, die die Forscher genauer untersuchten. Dazu schalteten sie nach einer vorgegebenen Wartezeit (0-150 Mikrosekunden) die Dipolfalle und das Lichtgitter ab, sodass sich die Atome frei bewegen konnten. Nach einer Flugzeit von 20 Millisekunden wurden die Positionen der Atome optisch aufgezeichnet. Daraus ermittelten die Forscher die Impulsverteilung der Atome im Lichtgitter in Abhängigkeit von der Wartezeit.
Wurde das Potential um eine Viertelgitterwellenlänge (θ0=45°) verschoben, sodass die Atome plötzlich an den Wendepunkten des sinusförmigen Potentials saßen, so ergaben sich mit zunehmender Wartezeit folgende Impulsverteilungen (s. Abb.): Zunächst waren alle Atome in Ruhe (A). Dann bewegten sie sich zum nächstgelegenen Minimum und erreichten dort ihre größte Geschwindigkeit, sodass die Impulsverteilung nach rechts verschoben war (B). Sie liefen gegen die Potentialflanke an und kamen wieder zur Ruhe (C).
Anschließend kehrten sie zum Potentialminimum zurück, wo sie ihre größte Geschwindigkeit erreichten. Doch jetzt zeigte die Impulsverteilung zwei Maxima (D1 und D2) mit negativem bzw. positivem Impuls, wobei das erste zu den „reflektierten“ Atomen gehörte und das zweite zu den „getunnelten“. Die beiden Maxima stimmen jedoch zeitlich nicht überein: D2 erschien gegen D1 um etwa 10 Mikrosekunden verspätet. Dies entspricht der Tunnelzeit für die gegebene Potentialverschiebung. Indem die Forscher die Verschiebung schrittweise veränderten, ermittelten sie die Abhängigkeit der Tunnelzeit von θ0. Je größer die Verschiebung war, desto flacher und kürzer war der zu durchtunnelnde Potentialberg und desto kürzer war die Tunnelzeit.
Als die Forscher die Entwicklung der atomaren Impulse weiter verfolgten, erlebten sie eine Überraschung. Zunächst kamen die Atome wieder an den Potentialflanken zur Ruhe (E). Doch danach bewegten sich alle Atome nach links (F)! Offenbar war kein Atom nach rechts getunnelt oder reflektiert worden. Dies liegt daran, dass das Lichtgitter auf die atomaren Wellenpakete wie ein Mach-
Rainer Scharf
Weitere Infos
DE