12.05.2023 • Quantenphysik

Verschränkte Quantenschaltkreise

Schlupflochfreier Bell-Test mit supraleitenden Schaltkreisen widerlegt erneut Konzept der lokalen Kausalität.

Es ist eine weitere Bestätigung der Quanten­mechanik: Eine Forschungs­gruppe um Andreas Wallraff von der ETH Zürich konnte mit einem schlupf­loch­freien Bell-Test das Konzept der lokalen Kausalität widerlegen, das von Albert Einstein als Antwort auf die Quanten­mechanik formuliert wurde. Sie konnten damit nachweisen, dass weit entfernte, quanten­mechanische Objekte viel stärker mitein­ander korreliert sein können, als dies bei klassischen Systemen möglich ist. Das Besondere daran: Den Forschern gelang dieses Experiment zum ersten Mal mit supra­leitenden Schaltkreisen. Diese gelten als heiße Kandidaten für den Bau von leistungs­fähigen Quanten­computern.

Abb.: Teilab­schnitt der dreißig Meter langen Quanten­ver­bin­dung...
Abb.: Teilab­schnitt der dreißig Meter langen Quanten­ver­bin­dung zwischen zwei supra­lei­ten­den Schalt­kreisen. Die Vakuum­röhre (Mitte) be­in­haltet einen Mikro­wellen-Wellen­leiter, der auf etwa minus 273 Grad Celsius ge­kühlt ist und die beiden Quanten-Schal­tungen ver­bindet. (Bild: D. Winkler, ETH Zürich)

Ein Bell-Test basiert auf einer Versuchs­anordnung, die vom britischen Physiker John Bell in den 1960er-Jahren zunächst als Gedanken­experiment erdacht wurde. Bell wollte damit eine Frage klären, über die bereits in den 1930er-Jahren die damaligen Größen der Physik gestritten haben: Stimmen die Voraussagen der Quantenmechanik, die der Alltags­intuition völlig zuwider laufen, oder gelten im atomaren Mikrokosmos ebenfalls die klassischen Vorstellungen von Kausalität, wie Albert Einstein überzeugt war?

Um diese Frage zu beantworten, schlug Bell vor, an zwei verschränkten Teilchen gleichzeitig eine zufällige Messung durchzuführen und diese anhand der Bellschen Ungleichung zu überprüfen. Stimmt Einsteins Konzept der lokalen Kausalität, dann wird die Bellsche Ungleichung bei diesen Experimenten immer erfüllt. Im Gegensatz dazu sagt die Quantenmechanik voraus, dass die Ungleichung verletzt wird.

Anfang der 1970er-Jahre führten John Francis Clauser, der letztes Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde, und Stuart Freedman erstmals konkret einen Bell-Test durch. In ihren Experimenten konnten die beiden nachweisen, dass die Bellsche Ungleichung tatsächlich verletzt wird. Allerdings mussten Clauser und Freedman bei ihren Experimenten gewisse Annahmen machen, damit sie die Versuche überhaupt durchführen konnten. Es hätte theoretisch also immer noch sein können, dass Einstein mit seiner Skepsis gegenüber der Quantenmechanik richtig lag.

Im Laufe der Zeit konnten dann immer mehr dieser Schlupflöcher geschlossen werden, bis es schließlich 2015 verschiedenen Gruppen gelang, die ersten wirklich schlupf­loch­feien Bell-Tests durch­zu­führen und damit die alte Streitfrage endgültig zu klären.

Wallraffs Gruppe kann diese Ergebnisse nun mit einem neuartigen Experiment bestätigen. Die Studie zeigt, dass das Thema trotz der erst­maligen Bestätigung vor sieben Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Das hat mehrere Gründe: Zum einen bestätigt das Experiment der ETH-Forscher, dass supraleitende Schaltkreise ebenfalls nach den Gesetzen der Quantenmechanik funktionieren, obwohl sie im Vergleich zu mikro­skopischen Quanten­objekten wie Photonen oder Ionen eine beachtliche Größe haben. Die mehrere hundert Mikrometer großen elektronischen Schaltkreise, die aus supra­leitenden Materialien bestehen und bei Mikro­wellen­frequenzen betrieben werden, werden auch als makro­skopische Quanten­objekte bezeichnet.

Zum anderen haben Bell-Tests auch eine praktische Bedeutung. „Mit abgeänderten Bell-Tests kann man beispiels­weise in der Kryptographie demonstrieren, dass Informationen tatsächlich verschlüsselt übermittelt werden“, erklärt Simon Storz von der ETH Zürich. „Mit unserem Ansatz können wir viel effizienter nachweisen, dass die Bellsche Ungleichung verletzt wird, als es bei anderen Versuchs­anordnungen möglich ist. Das macht unseren Ansatz für praktische Anwendungen besonders interessant.“

Allerdings benötigen die Forscher dazu eine aufwändige Versuchsanlage. Damit der Bell-Test tatsächlich schlupf­loch­frei ist, müssen die Forscher nämlich sicherstellen, dass vor dem Abschluss der Quanten­messungen keinerlei Informationen zwischen den beiden verschränkten Schaltkreisen ausgetauscht werden kann. Da Informationen höchstens mit Licht­geschwin­dig­keit übermittelt werden können, muss die Messung deshalb weniger Zeit benötigen als ein Licht­teilchen braucht, um von einem Schaltkreis zum anderen zu gelangen.

Beim Aufbau des Experimentes gilt es also, einen Kompromiss zu finden: Je grösser die Distanz zwischen den beiden supra­leitenden Schaltkreisen, desto mehr Zeit steht für die Messung zur Verfügung – und desto aufwändiger wird die Versuchs­anordnung. Denn das ganze Experiment muss im Vakuum nahe dem absoluten Nullpunkt durch­ge­führt werden.

Die kürzeste Distanz zur erfolg­reichen Durch­führung ihres schlupf­loch­feien Bell-Tests, so haben die ETH-Forscher ermittelt, beträgt etwa 33 Meter: Ein Licht­teilchen benötigt im Vakuum 110 Nano­sekunden, um diese Distanz zu überwinden. Das ist ein paar Nano­sekunden mehr, als die Forscher für die Durchführung des Experiments benötigt haben.

Wallraffs Team hat in einem der unter­irdischen Gänge des ETH-Campus eine eindrück­liche Anlage aufgebaut. An beiden Enden steht jeweils ein Kryostat, in dem sich ein supra­leitender Schaltkreis befindet. Die beiden Kühl­appara­turen sind über eine dreißig Meter lange Röhre mitein­ander verbunden, deren Innerstes auf eine Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wurde.

Vor Beginn jeder Messung wird von einem der beiden supra­leitenden Schaltkreise aus ein Mikro­wellen-Photon zum anderen übermittelt, so dass die beiden Schaltkreise fortan verschränkt sind. Zufalls­generatoren entscheiden dann, welche Messungen an den beiden Schaltkreisen im Rahmen des Bell-Tests durch­ge­führt werden. In einem nächsten Schritt werden die Mess­ergebnisse auf beiden Seiten miteinander verglichen.

Die Auswertung von mehr als einer Million Messungen zeigt, dass die Bellsche Ungleichung bei dieser Versuchs­anordnung mit einer sehr hohen statis­tischen Sicherheit verletzt wird. Damit konnten die Forscher also bestätigen, dass die Quantenmechanik auch bei makro­skopischen elektrischen Schaltungen nichtlokale Korrelationen zulässt. Supraleitende Schaltkreise lassen sich demnach auch über eine große Distanz mitein­ander verschränken. Das eröffnet interessante Anwendungs­möglich­keiten im Bereich verteiltes Quanten­computing und Quanten­krypto­graphie.

Der Bau und Test der Anlage, so räumt Wallraff ein, war eine Heraus­forderung: „Allein der Aufwand, die gesamte Versuchs­anordnung auf eine Temperatur nahe beim absoluten Nullpunkt zu kühlen, ist beträchtlich." Im Prinzip könnte man auf gleiche Weise auch Anlagen bauen, die noch größere Distanzen überwinden, ist Wallraff überzeugt. Das wäre zum Beispiel interessant, um weit vonein­ander entfernte supra­leitende Quanten­computer mitein­ander zu verbinden.

ETH Zürich / RK

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