Verschränkte Quantenschaltkreise
Schlupflochfreier Bell-Test mit supraleitenden Schaltkreisen widerlegt erneut Konzept der lokalen Kausalität.
Es ist eine weitere Bestätigung der Quantenmechanik: Eine Forschungsgruppe um Andreas Wallraff von der ETH Zürich konnte mit einem schlupflochfreien Bell-Test das Konzept der lokalen Kausalität widerlegen, das von Albert Einstein als Antwort auf die Quantenmechanik formuliert wurde. Sie konnten damit nachweisen, dass weit entfernte, quantenmechanische Objekte viel stärker miteinander korreliert sein können, als dies bei klassischen Systemen möglich ist. Das Besondere daran: Den Forschern gelang dieses Experiment zum ersten Mal mit supraleitenden Schaltkreisen. Diese gelten als heiße Kandidaten für den Bau von leistungsfähigen Quantencomputern.
Ein Bell-Test basiert auf einer Versuchsanordnung, die vom britischen Physiker John Bell in den 1960er-Jahren zunächst als Gedankenexperiment erdacht wurde. Bell wollte damit eine Frage klären, über die bereits in den 1930er-Jahren die damaligen Größen der Physik gestritten haben: Stimmen die Voraussagen der Quantenmechanik, die der Alltagsintuition völlig zuwider laufen, oder gelten im atomaren Mikrokosmos ebenfalls die klassischen Vorstellungen von Kausalität, wie Albert Einstein überzeugt war?
Um diese Frage zu beantworten, schlug Bell vor, an zwei verschränkten Teilchen gleichzeitig eine zufällige Messung durchzuführen und diese anhand der Bellschen Ungleichung zu überprüfen. Stimmt Einsteins Konzept der lokalen Kausalität, dann wird die Bellsche Ungleichung bei diesen Experimenten immer erfüllt. Im Gegensatz dazu sagt die Quantenmechanik voraus, dass die Ungleichung verletzt wird.
Anfang der 1970er-Jahre führten John Francis Clauser, der letztes Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde, und Stuart Freedman erstmals konkret einen Bell-Test durch. In ihren Experimenten konnten die beiden nachweisen, dass die Bellsche Ungleichung tatsächlich verletzt wird. Allerdings mussten Clauser und Freedman bei ihren Experimenten gewisse Annahmen machen, damit sie die Versuche überhaupt durchführen konnten. Es hätte theoretisch also immer noch sein können, dass Einstein mit seiner Skepsis gegenüber der Quantenmechanik richtig lag.
Im Laufe der Zeit konnten dann immer mehr dieser Schlupflöcher geschlossen werden, bis es schließlich 2015 verschiedenen Gruppen gelang, die ersten wirklich schlupflochfeien Bell-Tests durchzuführen und damit die alte Streitfrage endgültig zu klären.
Wallraffs Gruppe kann diese Ergebnisse nun mit einem neuartigen Experiment bestätigen. Die Studie zeigt, dass das Thema trotz der erstmaligen Bestätigung vor sieben Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Das hat mehrere Gründe: Zum einen bestätigt das Experiment der ETH-Forscher, dass supraleitende Schaltkreise ebenfalls nach den Gesetzen der Quantenmechanik funktionieren, obwohl sie im Vergleich zu mikroskopischen Quantenobjekten wie Photonen oder Ionen eine beachtliche Größe haben. Die mehrere hundert Mikrometer großen elektronischen Schaltkreise, die aus supraleitenden Materialien bestehen und bei Mikrowellenfrequenzen betrieben werden, werden auch als makroskopische Quantenobjekte bezeichnet.
Zum anderen haben Bell-Tests auch eine praktische Bedeutung. „Mit abgeänderten Bell-Tests kann man beispielsweise in der Kryptographie demonstrieren, dass Informationen tatsächlich verschlüsselt übermittelt werden“, erklärt Simon Storz von der ETH Zürich. „Mit unserem Ansatz können wir viel effizienter nachweisen, dass die Bellsche Ungleichung verletzt wird, als es bei anderen Versuchsanordnungen möglich ist. Das macht unseren Ansatz für praktische Anwendungen besonders interessant.“
Allerdings benötigen die Forscher dazu eine aufwändige Versuchsanlage. Damit der Bell-Test tatsächlich schlupflochfrei ist, müssen die Forscher nämlich sicherstellen, dass vor dem Abschluss der Quantenmessungen keinerlei Informationen zwischen den beiden verschränkten Schaltkreisen ausgetauscht werden kann. Da Informationen höchstens mit Lichtgeschwindigkeit übermittelt werden können, muss die Messung deshalb weniger Zeit benötigen als ein Lichtteilchen braucht, um von einem Schaltkreis zum anderen zu gelangen.
Beim Aufbau des Experimentes gilt es also, einen Kompromiss zu finden: Je grösser die Distanz zwischen den beiden supraleitenden Schaltkreisen, desto mehr Zeit steht für die Messung zur Verfügung – und desto aufwändiger wird die Versuchsanordnung. Denn das ganze Experiment muss im Vakuum nahe dem absoluten Nullpunkt durchgeführt werden.
Die kürzeste Distanz zur erfolgreichen Durchführung ihres schlupflochfeien Bell-Tests, so haben die ETH-Forscher ermittelt, beträgt etwa 33 Meter: Ein Lichtteilchen benötigt im Vakuum 110 Nanosekunden, um diese Distanz zu überwinden. Das ist ein paar Nanosekunden mehr, als die Forscher für die Durchführung des Experiments benötigt haben.
Wallraffs Team hat in einem der unterirdischen Gänge des ETH-Campus eine eindrückliche Anlage aufgebaut. An beiden Enden steht jeweils ein Kryostat, in dem sich ein supraleitender Schaltkreis befindet. Die beiden Kühlapparaturen sind über eine dreißig Meter lange Röhre miteinander verbunden, deren Innerstes auf eine Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wurde.
Vor Beginn jeder Messung wird von einem der beiden supraleitenden Schaltkreise aus ein Mikrowellen-Photon zum anderen übermittelt, so dass die beiden Schaltkreise fortan verschränkt sind. Zufallsgeneratoren entscheiden dann, welche Messungen an den beiden Schaltkreisen im Rahmen des Bell-Tests durchgeführt werden. In einem nächsten Schritt werden die Messergebnisse auf beiden Seiten miteinander verglichen.
Die Auswertung von mehr als einer Million Messungen zeigt, dass die Bellsche Ungleichung bei dieser Versuchsanordnung mit einer sehr hohen statistischen Sicherheit verletzt wird. Damit konnten die Forscher also bestätigen, dass die Quantenmechanik auch bei makroskopischen elektrischen Schaltungen nichtlokale Korrelationen zulässt. Supraleitende Schaltkreise lassen sich demnach auch über eine große Distanz miteinander verschränken. Das eröffnet interessante Anwendungsmöglichkeiten im Bereich verteiltes Quantencomputing und Quantenkryptographie.
Der Bau und Test der Anlage, so räumt Wallraff ein, war eine Herausforderung: „Allein der Aufwand, die gesamte Versuchsanordnung auf eine Temperatur nahe beim absoluten Nullpunkt zu kühlen, ist beträchtlich." Im Prinzip könnte man auf gleiche Weise auch Anlagen bauen, die noch größere Distanzen überwinden, ist Wallraff überzeugt. Das wäre zum Beispiel interessant, um weit voneinander entfernte supraleitende Quantencomputer miteinander zu verbinden.
ETH Zürich / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Storz et.al.: Loophole-free Bell inequality violation with superconducting circuits, Nature 617, 265 (2023); DOI: 10.1038/s41586-023-05885-0 - Quantum Device Lab (A. Wallraff), Dept. Physik, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz