01.08.2014

Verwirrung durch Unschärfe

Seit fast 90 Jahren diskutieren Physiker über die Heisenbergsche Unschärferelation – ein Ende ist nicht in Sicht.

Wissenschaftlicher Fortschritt basiert auf Verwirrung. Verwirrung entsteht, wenn mit genaueren Geräten oder neuartigen Methoden erzielte Messungen Ergebnisse liefern, die mit dem vorhandenen Wissen nicht interpretiert werden können. Oder wenn Rechenergebnisse nicht zu den entsprechenden Messergebnissen passen. Oder wenn schlicht und einfach die Intuition versagt, die ja nur den jeweiligen und zumeist sehr begrenzten Wissensstand widerspiegelt.

Verwirrung führt zu Krisen – und legt damit den Keim zu neuen Erkenntnissen. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit zwischen dem Theoretiker Max Planck und dem Experimentator Heinrich Rubens bei der Erklärung der Schwarzkörperstrahlung. Sie hat bekanntlich den Grundstein für die Quantenphysik gelegt.

Ein weiteres Beispiel ist Werner Heisenberg. Er war Theoretiker, hat es sich aber nicht nehmen lassen, in die Rolle des Experimentators zu schlüpfen. Mit einem Gedankenexperiment, dem nach ihm benannten Heisenberg-Mikroskop, wollte er die Neuartigkeit der Quantenphysik anhand der Störung beim Messprozess anschaulich machen. Herausgekommen ist die Heisenbergsche Unschärferelation – und eine bis heute andauernde Verwirrung darüber.

Heisenbergs Mikroskopskizze von 1929/30. Ein Lichtquant mit Frequenz v und Energie hv wird an einem punktförmigen Elektron gestreut und gelangt über ein Mikroskop zum Beobachter. Heisenberg wollte mit diesem Gedankenexperiment zeigen, dass das Produkt aus Unschärfe der Ortsmessung und Störung des Impulses durch ebendiese Messung nicht kleiner sein kann als die Größenordnung von h.

So wird die Unschärferelation immer wieder gerne für all das verantwortlich gemacht, was im Mikrokosmos anders verläuft als im Makrokosmos. Das weist der Unschärferelation, die oftmals auch zum Unschärfeprinzip erklärt wird, eine viel zu große Bedeutung zu. Sie kann zum Beispiel den Verlust der Interferenzfähigkeit eines Quantenobjekts in einem Welcher-Weg-Experiment, letztlich also den Welle-Teilchen-Dualismus, bestenfalls in Spezialfällen erklären.

Die Verwirrung geht sogar weiter, da es noch (mindestens) eine weitere Form der Unschärferelation gibt. Sie hat überhaupt nichts mit der Störung eines Quantenobjekts beim Messprozess zu tun, trotzdem trägt sie Heisenbergs Namen. Diese Unschärferelation hat eine konzeptionell ganz andere Bedeutung. Sie gibt nämlich formal Auskunft darüber, wie genau sich die Werte von komplementären Größen wie Ort und Impuls eines Quantenobjekts präparieren lassen.

Gänzlich verwirrend ist natürlich, dass es zwei Formen von Unschärferelationen geben soll, eine anschauliche und eine formale. Es stellen sich viele Fragen: Sind es wirklich zwei Formen? Wenn ja, welche gilt wann und wann nicht? Aber warum sind sie dann so ähnlich? Haben sie vielleicht doch etwas miteinander zu tun? Weist die Ähnlichkeit vielleicht darauf hin, dass es einen tiefer liegenden und bisher unentdeckten Zusammenhang zwischen ihnen gibt? Solche Fragen bewegen die Physiker noch immer, selbst drei Generationen nach Heisenberg.

Einen Übersichtsbeitrag zum derzeitigen Stand der Diskussion hat Johannes Kofler vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit veröffentlicht. Sie finden ihn hier zum Download (nur frei für Abonnenten).

Gerhard Rempe, Garching

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