12.10.2018

Viel Geröll, viele Steine, kein Staub

MASCOTs Weg auf der Oberfläche des Asteroiden Ryugu.

Sechs Minuten freier Fall, sanfter Aufprall auf einem Stein und dann elf Minuten wieder­holtes abprallen bis zur ersten Ruhe­lage. So begann die Reise des Asteroiden­landers MASCOT am frühen Morgen des 3. Oktober auf dem Asteroiden Ryugu. Nach diesem ersten Weg auf dem knapp neun­hundert Meter großen Asteroiden folgten rund 17 Stunden inten­siver wissen­schaft­licher Erkundung. Hierzu wurde die Lande­sonde vom MASCOT-Kontroll­raum am Deutschen Zentrum für Luft- und Raum­fahrt in Köln in Anwesen­heit von Wissen­schaftler­teams aus Deutsch­land, Frank­reich und Japan komman­diert und gesteuert. MASCOT übertraf alle Erwartungen und führte seine vier Experi­mente an mehreren Stellen auf dem Asteroiden aus. Nie zuvor in der Geschichte der Raumfahrt wurde ein Körper des Sonnen­systems auf diese Art und Weise erforscht. Der Weg, den MASCOT dabei auf der Ober­fläche zurück­legte, konnte nun anhand von Bild­daten der japanischen Sonde Hayabusa-2 sowie der Bilder und Daten von MASCOT genau nach­voll­zogen werden.

Abb.: Aufnahme der Umgebung nach der Landung. In unmittel­barer Nähe ist kein Regolith zu sehen. Statt­dessen ist das Gebiet extrem zer­klüftet und voller scharf­kantiger Blöcke. (Bild: DLR / JAXA)

„Robotische Spitzentechnologie, eine langfristige Planung in vielen Details und eine intensive inter­nationale Koopera­tion zwischen den Wissen­schaftlern und Ingeni­euren der drei Raum­fahrt­nationen Japan, Frank­reich und Deutsch­land haben diesen Erfolg erst möglich gemacht“, sagt Hans­jörg Dittus, DLR-Vorstand für Raum­fahrt­forschung und -techno­logie über diesen Meilen­stein der Erforschung des Sonnen­systems. „Wir sind stolz darauf, wie MASCOT seinen Weg auf dem Asteroiden Ryugu über Geröll und Steine gemeistert hat und dabei so viele Daten über die Zusammen­setzung zur Erde zurück­senden konnte“, freut sich die DLR-Vorstands­vor­sitzende Pascale Ehren­freund.

MASCOT hat kein Antriebssystem und landete im freien Fall. Sechs Minuten nach dem Abtrennen von Hayabusa-2 berührte das Lande­modul am Ende einer ballis­tischen Flug­bahn zum ersten Mal den Boden des Asteroiden. Auf der Ober­fläche bewegte sich MASCOT mit einer Schwung­masse aus Wolfram am Ende eines einge­bauten rotie­renden Schwung­arms fort. So konnte MASCOT gedreht werden und Sprünge voll­führen. Auf­grund der geringen Anziehungs­kraft reicht der kleine Schwung hierfür aus – eine tech­nische Inno­vation für eine unge­wöhn­liche Form der Mobilität auf einer Asteroiden­ober­fläche, die zum ersten Mal in der Geschichte der Raum­fahrt zum Einsatz kam.

Um den Weg von MASCOT über die Oberfläche von Ryugu rekon­stru­ieren zu können, waren die Augen der Kameras an Bord von Hayabusa-2 auf den Asteroiden gerichtet. Die Optical Naviga­tion Camera hielt den freien Fall von MASCOT in mehreren Bildern fest, sah den Schatten, den das Experi­ment­paket während der Flug­phase auf den Boden warf und identi­fi­zierte den ruhenden MASCOT schließ­lich in mehreren Bildern direkt auf der Ober­fläche. Das Muster der unzäh­ligen auf der Ober­fläche ver­teilten Blöcke war auch in Schräg­auf­nahmen der Kamera MASCAM aus der Lande­sonde heraus in Rich­tung des jeweiligen Horizonts zu erkennen. Die Kombi­nation dieser Infor­ma­tionen ent­schlüsselte den einzig­artigen Pfad der Lande­sonde.

Nach dem ersten Auftreffen prallte MASCOT sanft von einem großen Block ab, berührte noch etwa acht Mal den Boden und fand sich dann in einer zunächst für die Messungen ungüns­tigen Ruhe­lage wieder. Nach der Komman­dierung und Aus­führung eines eigens ein­ge­leiteten Korrektur-Hüpfers kam MASCOT ein zweites Mal zum Still­stand. Die genaue Position dieses zweiten Ortes wird derzeit noch ermittelt. Dort wurden die aus­führ­lichen Messungen über einen Asteroiden­tag und eine Asteroiden­nacht hinweg absol­viert. Es folgte eine kleine Bewegung, um dem Spektro­meter MicrOmega noch bessere Bedingungen für die Messung der Zusammen­setzung des Asteroiden­materials zu ermög­lichen.

Schließlich wurde MASCOT ein letztes Mal in Bewegung gesetzt für einen größeren Sprung. Dort am letzten Ort führte er noch einige Messungen durch, bevor die dritte Nacht anbrach und der Kontakt zu Hayabusa-2 abbrach. Die Sonde hatte sich aus der Sicht­linie bewegt. Um 21.04 Uhr erreichte das letzte Signal von MASCOT Hayabusa-2, die Mission war beendet. „Wir rechneten wegen der kalten Nacht damit, dass es weniger als 16 Stunden Batterie­lauf­zeit werden würden“, sagt MASCOT-Projekt­leiterin Tra-Mi Ho vom DLR-Institut für Raum­fahrt­systeme. „Schließ­lich konnten wir MASCOT aber sogar bis zum ein­setzenden Funk­schatten mehr als eine Stunde länger betreiben, ein toller Erfolg.“

Nach der exakten Rekonstruktion und Lokalisierung der Ereignisse sind die Wissen­schaftler nun damit beschäftigt, erste Ergeb­nisse aus den Mess­daten und Bildern heraus­zu­lesen. „Was wir aus der Distanz gesehen haben, hat uns schon eine Ahnung gegeben, wie es auf der Ober­fläche aus­sehen könnte“, sagt Ralf Jaumann vom DLR-Institut für Planeten­forschung und wissen­schaft­licher Leiter der MASCOT-Mission. „Tatsäch­lich ist es am Boden aber noch viel ver­rückter, als erwartet. Alles ist von groben Blöcken und Geröll über­sät. Wie kompakt diese Blöcke sind und welche Zusammen­setzung sie haben, das wissen wir noch nicht. Vor allem aber: Fast nirgendwo sind größere Ansamm­lungen feinen Materials zu sehen, und das haben wir gar nicht erwartet. Das müssen wir in den nächsten Wochen noch ganz genau unter­suchen, da die kosmische Verwit­te­rung eigent­lich feines Material erzeugen müsste.“

„MASCOT hat genau das gebracht, was wir uns an Daten erhofft haben: Eine Ver­länge­rung des Arms der Experi­mente auf der Raum­sonde bis auf den Boden von Ryugu und direkte Messungen vor Ort“, sagt Ho. Nun gibt es über die ganze Skala von Tele­skop-Licht­kurven von der Erde über die Fern­erkun­dung mit Hayabusa-2 bis zum mikro­sko­pischen Befund von MASCOT Mess­daten. „Das wird für die Charakte­ri­sierung dieser Klasse von Asteroiden von enormer Bedeu­tung sein“, unter­streicht Jaumann. Ryugu ist ein C-Klasse-Asteroid, ein als kohlen­stoff­reich ein­ge­schätzter Ver­treter der ältesten Körper des vier­ein­halb Milli­arden Jahre alten Sonnen­systems. Ein Urbau­stein der Planeten­ent­stehung also und in diesem Falle auch einer von 17.000 bekannten erd­bahn­kreu­zenden Asteroiden.

Auf der Erde gibt es einige Meteoriten, die eine Zusammen­setzung haben, die auch für Ryugu ange­nommen wird, beispiels­weise gefunden in der Murchison Range in Austra­lien. Matthias Grott vom DLR-Institut für Planeten­forschung, ver­an­twort­lich für das Radio­meter­experi­ment MARA, ist jedoch skeptisch, ob diese Meteoriten bezüglich ihrer physika­lischen Eigen­schaften tatsäch­lich repräsen­tativ für Ryugu sind: „Meteoriten wie der in Murchison gefundene sind recht massiv. Unsere MARA-Daten deuten aller­dings darauf hin, dass wir es auf Ryugu eher mit etwas poröserem Material zu tun haben. Die Unter­suchungen stehen erst ganz am Anfang, aber es ist plausibel anzu­nehmen, dass kleine Bruch­stücke von Ryugu den Ein­tritt in die Erd­atmo­sphäre nicht intakt über­stehen würden.“

DLR / RK

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