22.07.2009

Was die Welt zusammenhält: 'Klebeteilchen' für die Stabilität der Materie

Heidelberger Physiker untersuchen das Verhalten von Gluonen bei einem kurzlebigen Materiezustand



Physiker untersuchen das Verhalten von Gluonen bei einem kurzlebigen Materiezustand

Das Verhalten von Gluonen - das sind die Trägerteilchen der starken Wechselwirkung, die auf sub­atomarer Ebene für die Stabilität aller Materie sorgen - haben Physiker der Universität Heidelberg un­tersucht. Dabei ist es ihnen gelungen, die Eigenschaften eines kurzlebigen Materiezustandes genauer zu beschreiben, der nach dem Beschleunigen schwerer Ionen auf sehr hohe Energien und dem Auf­einanderprallen der Partikel für extrem kurze Zeitintervalle auftritt. Die Ergebnisse dieser Forschun­gen erlauben auch theoretische Vorhersagen für künftige Experimente mit Bleiionen am Teilchenbeschleu­niger LHC in Genf (Schweiz).

Abb.: Computer-Simulation einer zentralen Blei-Blei Kollision im ALICE Detektor des LHC am CERN in Genf. Die ersten derartigen Reaktionen sollen 2010 stattfinden. (Bild: CERN)


Die Kerne der Atome sind aus Protonen und Neutronen aufgebaut. Diese sogenannten Baryonen be­stehen aus je drei Quarks als Elementarbausteinen. Zwischen den Quarks gibt es eine starke Wech­selwirkung - eine von vier Grundkräften in der Natur. Sie wird durch die sogenannten Gluonen ge­tra­gen. Als subatomare Klebeteilchen sind sie verantwortlich für die Anziehung der Quarks untereinander und damit indirekt auch für den Zusammenhalt von Neutronen und Protonen in den Atomkernen, also letztlich für die Stabilität der Materie. Vor 30 Jahren konnten Wissenschaftler am Forschungszentrum DESY in Hamburg die Existenz der Gluonen - von englisch glue für Klebstoff - nachweisen.

Inzwischen ist bekannt, dass die Dichte der Gluonen unter bestimmten Voraussetzungen - dazu gehören sehr hohe Energien der kollidierenden Partikel - stark anwächst. Dieser Effekt beruht auf der Selbstwechselwirkung der Klebeteilchen. Gluonen können sich jedoch nicht nur vermehren, sondern sich bei sehr hoher Dichte auch wieder vereinigen. In theoretischen Annahmen geht die Wissenschaft deshalb davon aus, dass dabei kurzfristig eine Sättigung erreicht wird: Es entsteht für ein Zeitintervall von 10-23 Sekunden - zum Vergleich: eine Nanosekunde sind 10-9 Sekunden - ein neuer Materiezu­stand, das Gluonenkondensat. Yacine Mehtar-Tani und Georg Wolschin vom Institut für Theo­retische Physik der Universität Heidelberg haben Anzeichen für das Gluon-Sättigungsverhalten untersucht.

Ihre Forschungen basieren auf den Arbeiten zahlreicher Wissenschaftler, die in den vergangenen Jah­ren das Verhalten der Gluonen im Detail studiert haben. Im Mittelpunkt der aktuellen Untersuchung stehen Baryonenverteilungen in Schwerionen-Reaktionen von Gold- und Bleikernen bei sehr hohen "relativistischen" Energien. Ein neu entwickeltes theoretisches Modell wurde dabei mit experimentellen Daten des europäischen Forschungszentrums CERN und des Brookhaven-Nationallaboratoriums in den USA verglichen.

Bei einer Kollision von Schwerionen entstehen aus der vorhandenen Energie Tausende stark wech­selwirkender Teilchen und ihre Antiteilchen. Die Differenz von Baryonen- und Antibaryonenverteilung wird als Funktion des Streuwinkels gemessen. Dabei sind die Ereignisse bei kleinen Winkeln, soge­nannten Vorwärtswinkeln, von besonderer Bedeutung. Bei bestimmten Streuwinkeln hat die Bary­onenverteilung Maxima, deren Lage von der Bildung des Gluonenkondensats abhängt. Durch eine präzise Lage-Messung lässt sich im Prinzip bestimmen, ob die Gluonen-Sättigung erreicht wird. Mit ihren Forschungen ist es den Heidelberger Physikern zugleich gelungen, die Eigenschaften des Gluonenkon­densats genauer zu bestimmen.

Die bisherigen Experimente ermöglichen bislang jedoch bei sehr hohen Energien keine komplette Messung der Maxima. Georg Wolschin: "Zwar können auf der Basis unserer Forschungsergebnisse auch aus den Messdaten für Baryonen bei großen Winkeln von etwa 90 Grad einige Rückschlüsse auf das Gluonenverhalten gezogen werden, aber die Messung der Maxima bei kleinen Winkeln wäre sehr viel aussagekräftiger." Sie wird allerdings auch bei künftigen Untersuchungen am LHC, so der Heidel­berger Wissenschaftler, nur nach einer Erweiterung der jetzigen Apparaturen möglich sein. Ziel der For­schungen ist der indirekte Nachweis des Gluonenkondensats, um so eine zentrale Frage der Teilchenphysik zu klären.

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg


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