01.02.2019

Was Spinnen an der Decke hält

Details der Haftstrukturen von Spinnenbeinen entschlüsselt.

Problemlos klettern Jagd­spinnen an senkrechten Ober­flächen oder bewegen sich über Kopf an der Decke. Den nötigen Halt geben ihnen rund eintausend winzige Haft­härchen am Ende ihrer Beine. Diese borsten­artigen Haare, die Setae, bestehen, wie der Spinnen­panzer, vor allem aus Proteinen und dem Vielfachzucker Chitin. Um mehr über ihre Fei­nstruktur heraus­zufinden, hat ein inter­disziplinäres Forschungs­team aus Biologie und Physik der Christian-Albrechts-Univer­sität zu Kiel und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht HZG den mole­kularen Aufbau dieser Härchen genauer untersucht. Mit Röntgen­licht fanden sie heraus, dass die Chitin-Moleküle der Setae speziell angeordnet sind, damit sie den Belastungen beim ständigen Anhaften und Loslösen stand­halten. Ihre Ergebnisse könnten die Grundlage für besonders belast­bare zukünftige Materialien sein.

Abb.: Um herauszufinden, warum sich die Jagd­spinne Cupiennius salei so gut an...
Abb.: Um herauszufinden, warum sich die Jagd­spinne Cupiennius salei so gut an senkrechten Ober­flächen halten kann, untersucht das inter­disziplinäre Forschungs­team die winzigen Hafthaare auf den Spinnen­beinen. (Bild: Siekmann, CAU Kiel)

Beim Laufen und Klettern wirken große Kräfte auf die winzigen, nur wenige hundert Nanometer großen, Kontakt­plättchen der Spinnen­beine. Diese Haft­strukturen halten der Bean­spruchung mühelos stand. „Künstlich herge­stellte Materialien gehen dagegen häufig kaputt“, stellt Stanislav N. Gorb vom Zoo­logischen Institut fest. „Wir wollen deshalb heraus­finden, warum Spinnen­beine so stabil sind.“ In seiner Arbeits­gruppe „Funk­tionelle Morpho­logie und Biomechanik“ untersucht der Zoologe bio­logische Mecha­nismen und wie sie künstlich nachgebildet werden könnten. Gorb und sein Mitarbeiter, der Zoologe und Bio­mechaniker Clemens Schaber, vermuteten, das Geheimnis der stabilen Haft­härchen liege im mole­kularen Aufbau des Materials. Mit ihren Dimen­sionen im unteren Mikrometer­bereich sind sie jedoch zu klein, um sie mit gängigen Methoden zu unter­suchen.

Um ihre These zu überprüfen, arbeiteten die Kieler Wissen­schaftler mit Martin Müller zusammen, er ist Leiter des Bereichs Werkstoff­physik am HZG. Gemeinsam mit seinem Team und Doktorandin Silja Flenner untersuchten sie die Haft­härchen der Spinnenart Cupiennius salei mit Methoden der ortsauf­gelösten Röntgen­beugung an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble, Frankreich, und am Deutschen Elek­tronen-Synchrotron – Petra III am Desy in Hamburg. Diese Speicherringe gehören zu den besten und leistungs­fähigsten Röntgen­strahlenquellen weltweit. Dort beschoss das Forschungs­team das Spinnen­material mit Röntgen­strahlung. Je nachdem, wie diese Strahlung durch das Material gestreut wird, lassen sich nanometer­genaue Rückschlüsse auf die Zusammen­setzung des Materials ziehen. „Wir fanden heraus, dass die Chitinmoleküle an der Spitze der winzigen Haft­haaren der Spinne speziell angeordnet sind: Die parallel verlaufende Faser­struktur verstärkt die Hafthärchen“, fasst Müller die Unter­suchungen zusammen.

Abb.: Im Raster­elektronen­mikroskop sind an der Spitze des Haft­härchens...
Abb.: Im Raster­elektronen­mikroskop sind an der Spitze des Haft­härchens die winzigen, haftenden Kontakt­plättchen der Spinne zu sehen. Sie sind gerade einmal zwanzig Nano­meter dick. (Bild: Schaber et al. (2019) J. R. Soc. Interface, http://creative­commons.org/licenses/by/4.0/)

„Außerdem ist bemerkens­wert, dass die Chitin-Fasern in anderen Teilen der Spinnen­beine in unter­schiedlichen Richtungen verlaufen, ähnlich wie bei Sperrholz. Diese Struktur macht den Schaft des Spinnen­beins in verschiedene Richtungen biegbar“, erklärt Schaber. Die parallele Ausrichtung der Faser-Moleküle in den Hafthärchen hingegen folgt den Zug- und Druck­kräften, die auf sie wirken. So fängt sie die Belas­tungen auf, die beim Anhaften und Ablösen der Spinnen­beine auftreten.

Ähnliche Haft­härchen finden sich unter anderem bei Geckos. Das Forschungs­team vermutet dahinter deshalb ein zentrales, biolo­gisches Prinzip, um auf verschiedenen Unter­gründen haften zu können. Für die Ent­wicklung neuer Materialien mit hoher Belast­barkeit könnte das wegweisend sein. Intel­ligente Molekül­anordnung wie die in den Chitin-Fasern künstlich auf Nanoebene nachzu­bilden, ist allerdings eine Heraus­forderung für die Bionik­forschung. „Die Natur verwendet andere Methoden: Ein biolo­gisches Material und seine Struktur wachsen parallel, während das in der künstlichen Herstellung nach­einander ablaufende Schritte sind“, so Gorb. Neue Techno­logien der additiven Fertigung wie 3D-Druck auf der Nanoskala könnten eines Tages womöglich zur Entwicklung völlig neuartiger von der Natur inspi­rierter Materialien beitragen.

CAU Kiel / JOL

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