08.10.2021

Wenn die Rakete zu sehr wackelt

Spezielle vibroakustische Metamaterialien reduzieren Schwingungen bei Trägerraketen.

Zukünftige Trägerraketen-Konzepte sollen leichter, zuverlässiger und wirtschaftlicher sein. Damit diese ehrgeizigen Anforderungen erreicht werden, ist die Entwicklung neuer Materialien und multi­funktionaler Strukturen sowie innovativer Fertigungs­technologien unerlässlich. Im Fraunhofer-Institut für Betriebs­festigkeit und System­zuverlässigkeit LBF haben Forscher nun die Umsetzung der vibro­akustischen Meta­materialien-Technologie für eine zylindrische Leicht­baustruktur aus Verbund­werkstoff untersucht. Diese stellt die Oberstufe einer konzeptionellen Ariane-6-Trägerrakete dar. Dabei erreichten sie Schwingungs­reduktionen von bis zu 30 Dezibel im Frequenzbereich zwischen 150 und 200 Hertz.

 

Abb.: Individuell konfiguriertes vibro­akustisches Meta­material (Bild: U....
Abb.: Individuell konfiguriertes vibro­akustisches Meta­material (Bild: U. Raapke / F.-LBF)

Verbundwerkstoffe wie Kohlefaser­verbund­werkstoff (CFK) ermöglichen große Massen­einsparungen bei Trägerraketen und werden für die Anwendung in verschiedenen Systemen und Komponenten in Betracht gezogen. Die Europäische Weltraum­organisation (ESA) will bis 2025 eine Oberstufe komplett aus Kohlefaser­verbundwerkstoff für die neue Generation der Ariane 6 entwickeln, mit dem Ziel, die Nutzlast­kapazität um zwei Tonnen zu erhöhen.

Obwohl Oberstufen aus Verbund­werkstoffen im Vergleich zu metallischen Materialien ein höheres Steifigkeits-Masse-Verhältnis aufweisen, können sie bei bestimmten Frequenzen zu höheren Schwingungsamplituden führen, die insbesondere in der Startphase kritisch sind. Ein innovativer Ansatz zur Reduzierung von Schwingungen sind vibro­akustische Metamaterialien. Damit wird ein in der Natur nicht vorkommendes Verhalten erzeugt. Neben optischen und elektromagnetischen Metamaterialien werden spezielle Formen von Metamaterialien auch zur Lärm- und Schwingungs­minderung eingesetzt.

Vibroakustische Metamaterialien bestehen aus mehreren periodisch angeordneten Einheits­zellen – dem kleinsten identischen Teil der Grundstruktur, auf dem ein Resonator (Feder-Masse System) sitzt. Die lokalen Resonatoren sind gezielt auf der Subwellen­längenskala der einfallenden Welle platziert. Sie sind auf eine Resonanz­frequenz abgestimmt, bei der eine Schwingungs­reduktion erforderlich ist. Die Wechselwirkung zwischen den lokalen Resonatoren und der einfallenden Welle führt zu einem Stoppband – einem Frequenz­bereich mit hoher Schwingungs­reduktion.

Das Potenzial von vibro­akustischen Metamaterialien wurde sowohl für die Luftfahrt als auch für die Raumfahrt erkannt, wo sie beispielsweise bei der Nutzlast­umhausung eingesetzt werden. Im Forschungs­projekt „Silent Running“ liegt der Fokus auf dem Design von vibro­akustischen Metamaterialien, die in der Oberstufe einer konzeptionellen Ariane 6-Trägerrakete eingesetzt werden sollen. „Am Fraunhofer LBF entwickeln unsere Fachteams effiziente numerische Routinen zur Beschreibung des dynamischen Verhaltens von vibro­akustischen Metamaterialien. Diese Routinen werden für das Design von branchen­spezifischen Produkten eingesetzt“, erläutert Projektleiter Heiko Atzrodt, verantwortlich für die Abteilung Struktur­dynamik und Schwingungs­technik im Fraunhofer LBF.

Die Forscher haben drei Konzepte von lokalen Resonatoren numerisch betrachtet und experimentell validiert. Für eine detaillierte Untersuchung des Verhaltens von vibro­akustischen Meta­materialien in einem endlichen Bauteil wurden Platten­demonstratoren aus CFK realisiert, die den Schwerpunkt dieses Forschungsprojekts bilden. Die Resonator­konzepte wurden simuliert und ihre Wirkung numerisch bewertet. Dazu werden die Resonatoren auf der CFK-Platte angebracht, um eine Metamaterial­struktur zu erzeugen. Im ersten Schritt wird die Wellen­ausbreitung der unendlichen, periodischen Struktur anhand des Dispersions­verhaltens (Zusammenhang zwischen der Wellenlänge und Frequenz) einer einzelnen Einheitszelle untersucht. Damit werden Stoppbänder im Frequenz­bereich ermittelt, in denen keine freie Wellenausbreitung möglich ist. Im nächsten Schritt wird eine endliche Platten­struktur modelliert, um Stoppbänder in Frequenz­gangfunktionen bei realen Randbedingungen auszuwerten. Für alle Konzepte traten Reduktionen von Schwingungs­amplituden von bis zu 30 Dezibel im Frequenzbereich zwischen 150 und 200 Hertz in den numerischen Simulationen auf. Durch den gezielten Einsatz geeigneter Materialien wird zusätzlich zum Stoppband ein verbessertes Schwingungs­verhalten oberhalb des Stoppbandes erreicht.

Das Schwingungsreduktionsverhalten von vibro­akustischen Metamaterialien haben die Darmstädter Forscher experimentell an planaren Proben untersucht. „Wir haben unser Ziel erreicht, für die drei Konfigurationen wird ein deutlich verbessertes Schwingungs­verhalten nach der eingestellten Eigen­frequenz des Resonators beobachtet“, bestätigt Heiko Atzrodt den Projekterfolg.

Die experimentelle Umsetzung einer CFK-Probeplatte mit der Anwendung vibro­akustischer Metamaterialien-Technologie zeigt ab der Resonator­eigenfrequenz von rund 150 Hertz ein deutlich verbessertes Schwingungs­verhalten. Dank der Anwendung eines hoch­gedämpften Materials für die Resonatoren wird das Schwingungs­verhalten auch nach dem Stoppband­bereich optimiert. Die Schwingungs­reduktion beträgt im erwarteten Stoppband­bereich bis 25 Dezibel und im höheren Frequenzbereich (ab zirka 250 Hertz) bis 15 Dezibel.

Fh.-LBF / DE

 

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