17.10.2025 • Materialwissenschaften

Wenn Wasserstoff auf Stahl trifft

Forschende von Empa und ETH untersuchen, wie Wasserstoff mit Oxidschichten interagiert, und zwar räumlich und zeitlich hoch aufgelöst.

In der Nacht auf den 11. September 2024 stürzte ein rund hundert Meter langer Abschnitt der Carola­brücke in Dresden in die Elbe. Die Ursache: Risse an der stählernen Spann­struktur der Brücke. Der Schuldige: Wasser­stoff. Der Prozess heißt Wasser­stoff­versprö­dung. Bestimmte Korrosions­prozesse in Anwesen­heit von Wasser setzen an der Ober­fläche von Stahl­bauteilen atomaren Wasser­stoff frei. Dank seiner geringen Größe diffun­diert dieser in den Stahl, wo er durch verschie­dene Mecha­nismen Riss­bildung begünstigt. Die Carola­brücke ist längst nicht das erste Bauwerk, dem Wasser­stoff zusetzt. Weitere bekannte Bei­spiele sind der Londoner Wolken­kratzer 122 Leadenhall Street, im Volksmund als Cheese­grater bekannt, sowie der Teil­neubau der Bay Bridge in San Fran­cisco, bei denen das Versagen der Stahl­bolzen Sanierungs­kosten in Millionen­höhe zur Folge hatte.

Chiara Menegus und Claudia Cancellieri an der HAXPES-Anlage
Chiara Menegus und Claudia Cancellieri an der HAXPES-Anlage
Quelle: Empa

Dass Wasserstoff Metalle angreift, ist bereits seit dem 19. Jahr­hundert bekannt. Voll­ständig ver­stan­den sind die kom­plexen Mecha­nismen hinter der Wasser­stoff­versprö­dung aller­dings bis heute nicht – trotz zahl­reicher Studien. Empa-Forschende aus dem Labor für Füge­techno­logie und Korro­sion unter­suchen nun eine Seite der Wasser­stoff­ver­sprö­dung, der bisher sehr wenig Auf­merk­sam­keit zuteil kam: die Inter­aktion des Wasser­stoffs mit einer nativen Oxid­schicht auf Stahl.

Die native Oxidschicht, auch Pas­si­vie­rungs­schicht ge­nannt, ist eine dünne Schicht, die sich auf natür­liche Weise an der Ober­fläche der meisten Metalle und Legie­rungen bildet. Sie ver­leiht rost­freien Stählen ihre Korro­sions­beständig­keit. Die Art und die Zusam­men­setzung der nur wenige Nano­meter dicken Schicht unter­scheiden sich von Stahl zu Stahl. Gewisse Oxide sind deutlich stabiler und resis­tenter gegen­über Wasser­stoff als andere. Sie schützen den Stahl besser vor Versprö­dung. Dies wollen die Empa-Forsche­rinnen Chiara Menegus und Claudia Cancel­lieri unter­suchen. Ein beson­deres Augen­merk legen sie dabei auf die Grenz­fläche zwischen dem Metall und seiner Oxid­schicht. „Wasser­stoff sammelt sich im Material jeweils dort an, wo Unordnung herrscht“, erklärt Dokto­randin Menegus. „Die Grenz­fläche zwischen dem Metall und dem Oxid ist eine solche Stelle.“

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Die Forschung an Wasser­stoff im Stahl ist heraus­for­dernd – das leichte Element lässt sich mit gängigen Analyse­methoden gar nicht be­stim­men. Auch müssen die Experi­mente unter Aus­schluss aller weiteren Umwelt­faktoren wie Sauer­stoff und Feuch­tig­keit statt­finden – ansons­ten entste­hen kom­plexe Inter­aktio­nen und Kor­rosions­pro­zesse, die den Wasser­stoff­ein­fluss mas­kieren. Die letzte große Heraus­forde­rung ist die Grenz­fläche selbst: „Es ist schwie­rig, eine verbor­gene Grenz­fläche im Inne­ren des Materials zu unter­suchen, ohne die Probe zu zer­stören“, weiß die Physi­kerin Cancel­lieri, For­schungs­gruppen­leite­rin im Labor für Füge­techno­logie und Kor­r­osion.

Diese Heraus­forde­rungen meistern die Forsche­rinnen mit einem inno­vativen Versuchs­aufbau. Im ersten Jahr ihrer Doktor­arbeit hat Menegus eine elektro­chemische Zelle ent­wickelt, in der die Stahl­probe befestigt wird. Auf einer Seite der Probe befindet sich Wasser, auf der anderen das inerte Edelgas Argon. Durch Anlegen von elektri­scher Span­nung wird aus dem Wasser atomarer Wasser­stoff gene­riert. Er diffun­diert durch die dünne Probe, bis es die Oxid­schicht auf der gegen­über­liegen­den Seite erreicht und hier mit dem nativen Oxid inter­agiert. „So können wir die Inter­aktion von atoma­rem Wasser­stoff mit dem nativen Oxid von anderen Umwelt­ein­flüssen isolie­ren“, erklärt Menegus. Sämt­liche Schritte – vom Zusam­menbau der Zelle bis zur Analyse der Probe – finden unter Schutz­atmo­sphäre statt, in einer Glovebox.

Für die Charakte­risie­rung der Proben greifen die Forscher­innen auf eine in der Schweiz einmalige Analyse­technik zurück, die harte Röntgen­photo­elektronen­spektro­skopie (Hard X-ray Photo­electron Spectro­scopy, HAXPES). Diese Spektro­skopie­methode nutzt hoch­energe­tische Röntgen­strahlung, um die Art und den chemischen Zustand von Atomen in einem Material zu bestimmen, und zwar nicht nur an der Ober­fläche, sondern bis zu zwanzig Nano­meter in der Tiefe – genug, um die rund fünf Nano­meter dicke Oxid­schicht sowie die darunter­liegende Grenz­fläche zum Stahl zu erfas­sen.

Zwar lässt sich der Wasser­stoff selbst damit nicht direkt erfas­sen – seine Aus­wir­kungen auf die gesamte Oxid­schicht konnten die Forscher­innen jedoch bereits deutlich demons­trieren. „Die ersten Versu­che zeigen, dass der Wasser­stoff die schützende Oxidschicht abbaut“, sagt Menegus. Nun will sie die Oxide auf unter­schied­lichen Eisen-Chrom-Legie­rungen sowie auf einigen gängigen Stählen untersuchen. Danach werden die Forscher­innen zusam­men mit dem Ion Beam Physics Lab der ETH Zürich den Wasser­stoff­gehalt in den Proben direkt bestim­men – in Echt­zeit, mit einer auf­wän­digen Teil­chen­beschleu­niger-Methode. Sie hoffen, dadurch den Effekt von Wasser­stoff auf die nativen Oxid­schichten besser zu verstehen und besonders resis­tente Oxid­formen zu finden. Ihre Erkennt­nisse könnten zum Bau von lang­lebi­geren Brücken führen – sowie zu besserer Infra­struktur für die Lagerung und den Transport von grünem Wasser­stoff. [Empa / dre]

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