12.08.2020

Wie Ladungstransfer abläuft

Kombination maschineller Lernverfahren bringt Einblick in organisch-anorganische Grenzflächen.

Die Arbeitsgruppe von Oliver Hofmann am Institut für Festkörperphysik der TU Graz beschäftigen sich mit der Optimierung moderner Elektronik. Eine Schlüsselrolle in ihrer Forschung spielen Grenz­flächen­eigenschaften von Hybrid­materialien, die aus organischen und anorganischen Komponenten bestehen und beispiels­weise bei OLED-Displays oder organischen Solarzellen zum Einsatz kommen. Das Team simuliert diese Grenz­flächen­eigenschaften mit maschinell basierten Lern­verfahren; die Ergebnisse fließen in die Entwicklung neuer Materialien ein, die die Effizienz elektronischer Bauteile verbessern sollen.
 

Abb.: Durch die Kombination zweier neuartiger Machine-Learning-Verfahren für...
Abb.: Durch die Kombination zweier neuartiger Machine-Learning-Verfahren für die Grenz­flächen­struktur­suche lassen sich nun Probleme untersuchen, die sich der Unter­suchung früher komplett entzogen haben. (Bild: B. Baustädter, TU Graz)

Nun nahmen sich die Forscher dem Phänomen lang­reichweitiger Ladungs­transfers an. Ein Elektronen­transfer von einem Material zum anderen tritt bereits im ausgeschalteten Zustand auf, wenn sich im benachbarten Material energetisch günstigere Zustände für die Elektronen befinden. Dabei stellt sich die fundamentale Frage, wie weit dieser Transfer von Elektronen im organischen Material reichen kann, also bis in welche Molekül­lage hinein er stattfindet. Viele Studien berichten, dass sich dieser Effekt bei organisch-anorganischen Grenzflächen auf die erste Lage beschränkt – das ist jene Lage, in der die organischen Moleküle (der organischen Schicht) in direktem Kontakt mit der Metall­oberfläche (der anorganischen Schicht) stehen.

Einige Berichte wiederum gehen davon aus, dass der Effekt auch über größere Entfernungen bis zur zweiten Lage oder darüber hinaus reicht. „Wenn es das gibt, könnte man den Effekt für die Senkung des elektrischen Widerstands des Hybrid­materials nutzen und sie dadurch energie­effizienter machen“, erklärt Hofmann das Interesse.

Um langreichweitige Ladungstransporte in organisch-anorganischen Grenzflächen nachzuweisen, haben die Forscher mithilfe von neuen maschinellen Lernverfahren eine Kupfer-Tetra­cyanoethylen-Grenzfläche (TCNE/Cu(111)) untersucht, „da es hier besonders starke experimentelle Daten gibt, die einen langreichweitigen Ladungs­transport nahelegen“, so Hofmann. Es gibt keine klare Theorie, wieso manche Systeme diesen Effekt zeigen. Hofmann und sein Team wollten „dieses Rätsel lösen, um einen Grundlage dafür zu schaffen, wie man Materialien mit der gleichen Eigenschaft herstellen kann.“

Durch Kombinieren der Verfahren konnten die Forscher für die TCNE-Cu-Grenzflächen über zwei Millionen potentielle Grenz­flächen­strukturen identifizieren und das Verhalten der Moleküle unter den diversen experimentellen Bedingungen vorhersagen. Die Ergebnisse zeigten, dass es zu keinem langreichweitigen Ladungs­transfer kommt, sondern die Moleküle im System stattdessen ihre Struktur ändern.

Beim Aufbringen von Molekülen ist es zumeist so, dass sie ihre übliche Anordnung behalten und versuchen, sich dichter zusammen­zudrängen, bis sie ab einer gewissen Dichte schließlich von der ersten in die zweite Lage wachsen. Im TCNE/Cu(111)-System aber wechseln die aufgebrachten Moleküle ab einer bestimmten Menge von der ursprünglich liegenden Position in eine stehende. Sie richten sich also auf, um sich noch dichter zusammen­drängen zu können. „Stehende Moleküle haben aber einen ganz anderen Ladungstransfer als liegende Moleküle. Die Struktur­umwandlung ist experimentell schwer erkennbar, die Messergebnisse ähneln aber jenen von lang­reichweitigem Ladungs­transport“, erklärt Hofmann.

Die Untersuchungen widerlegen die Hypothese des langreichweitigen Ladungs­transfers. Der Einsatz der kombinierten maschinellen Lern­verfahren soll zukünftige Experimente in der Material­entwicklung dahingehend unterstützen, dass solche Fehl­interpretationen nicht mehr auftreten. Durch einen tieferen Blick in die physikalischen Vorgänge helfen die neuen Verfahren, dass keine Materialien mehr designt werden, die einem Effekt nachjagen, den es in dieser Form gar nicht gibt. Hofmann unterstreicht den Vorteil der neuen Methode: „Dank der beiden Verfahren können zukünftig Millionen unter­schiedlicher Strukturen simuliert werden.“

TU Graz / DE
 

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