Wie Schiffswellen aufs Ufer treffen
Schutz von Wasserstraßen wird bei zunehmendem Schiffsverkehr immer wichtiger.
Abgetragene Steine, durchbrochene Buhnen – durch Schiffswellen werden immer wieder und immer häufiger Uferbauwerke an Flüssen und in Ästuaren beschädigt. Um gezielt Maßnahmen zum Schutz der Wasserstraßen ergreifen zu können, muss die mechanische Wellenbelastung verlässlich berechnet werden. Hier setzt das Projekt NumSiSSI am Leichtweiß-Institut für Wasserbau der Technischen Universität Braunschweig in Kooperation mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) an. Doktorand Carlos Dempwolff entwickelt numerisch-physikalische Methoden, die abbilden, wie Schiffswellen erzeugt werden, sich ausbreiten und insbesondere, wie sie mit dem Gewässerufer und Buhnenbauwerken interagieren.
Flüsse, künstliche Wasserstraßen und Ästuare, also die Mündungsbereiche ins Meer, sind intensiv genutzte internationale Verkehrswege. Der Gütertransport wird künftig noch zunehmen und damit auch die Belastung der Uferbauwerke. „Unsere Wasserstraßen sind auf nationaler und internationaler Ebene ein wesentlicher Faktor für die Reduzierung klimaschädlicher Emissionen. Deshalb ist ein vertieftes Handlungswissen über die Schädigungsprozesse am Gewässerufer entscheidend“, sagt Nils Goseberg vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI). Vor allem in den Ästuarbereichen von Elbe und Weser, an denen auch der Einfluss des Meeres spürbar wird, sind die Buhnen betroffen, die üblicherweise aus Schüttsteinen errichteten Querbauwerke, die vom Ufer in Richtung Flussmitte ragen.
Verantwortlich für die Zerstörung sind hauptsächlich die von Schiffen erzeugten Primärwellen. In engen Gewässern, so wie es die Flussmündungsgebiete für die Seeschiffe sind, können sie sehr groß sein. „Das sind Wellen, die am Bug und am Heck des Schiffes entstehen. Dazwischen liegt ein langer Bereich, in dem der Wasserspiegel absinkt“, erklärt Carlos Dempwolff von der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau des LWI. An Buhnenbauwerken entsteht so ein Wasserspiegelgefälle, das bei bestimmten Tidewasserständen ein Überströmen des Bauwerks bewirkt. Auch wenn man in diesem Fall von Schiffswellen spricht, wird der Schaden an den Buhnen also eher von einer „Überströmung“ verursacht, die im Bereich der Buhnenwurzel und -krone besonders erosiv wirken kann. „Langfristiges Ziel ist es deshalb, praktisch nutzbare Werkzeuge zu entwickeln, mit denen man die Lasten bestimmen kann“, so Ingrid Holzwarth, die Expertin beim Kooperationspartner BAW. „Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Auslegung der Uferbauwerke, damit sie den schiffserzeugten Belastungen standhalten.“
„Es wurden bereits einige Praxislösungen ausprobiert, wie man Buhnen baulich anders ausführen kann, sodass diese weniger Schaden nehmen“, berichtet Gregor Melling von der BAW. „Wir haben in unserem Schiffswellenbecken der BAW in Hamburg Modellversuche durchgeführt und auf dieser Basis haben wir eine optimierte Buhnenform entwickelt, die im Praxisversuch an der Tideelbe unter Realbedingungen getestet wurde. Was in der Praxis funktioniert, wollen wir jetzt auch rechnerisch nachweisen. Denn um über den Einzelfall hinaus allgemeine Grundlagen auch für zukünftige Maßnahmen zu ermitteln, wollen wir die Prozesse genau verstehen und im Computermodell abbilden.“
Carlos Dempwolff hat sich bereits in seiner Bachelorarbeit mit numerischen Simulationen beschäftigt. Auf Grundlage von archäologischen Befunden rekonstruierte er einen Flussabschnitt am Rhein in der Nähe der Stadt Xanten. Seine Masterarbeit schrieb der Wasser-, Umwelt- und Küsteningenieur in Norwegen bei einem Entwicklerteam an der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim. „Dort haben wir Simulationswerkzeuge entwickelt, die wir jetzt sehr gut brauchen können und weiterentwickeln wollen“, sagt der Doktorand. „Wichtig ist dabei auch immer, die Wirklichkeit soweit es geht zu vereinfachen, damit ein Programm wirklich nutzbar in der Anwendung ist und nicht tagelang rechnet.“
Momentan ist es mit den Methoden, die die Einwirkung auf das Ufer genau berechnen können, noch nicht möglich, die von Schiffen erzeugten Wellen in Abhängigkeit von beispielsweise der Form, Größe oder Geschwindigkeit des Schiffs zu berechnen. Daher werden im ersten Schritt diese Daten aus empirischen Untersuchungen – Experimenten und Naturmessungen – entnommen. Im nächsten Schritt geht es dann darum, von diesen Daten unabhängig zu werden und ein etabliertes Modell so zu erweitern, dass eine Berechnung möglich ist. Dabei kann Carlos Dempwolff auf eine umfangreiche Datensammlung der Bundesanstalt für Wasserbau zurückgreifen, die einen kontinuierlichen Vergleich mit experimentellen und Feldmessdaten ermöglicht.
Das Projekt „Numerische Simulation der Schiffswelle-Struktur-Interaktion (NumSiSSI)“ wird in Kooperation mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) seit Juni 2020 für drei Jahre durchgeführt. Ziel ist es, Methoden zur numerischen Berechnung von Schiffswellen und deren Interaktion mit Buhnen am Gewässerufer zu entwickeln.
TU Braunschweig / DE