Wie sich Wasser windet
Erstmals gelingt die vollständige Vermessung der Helizität von Wasserwirbeln.
Die Bildung von Wirbeln in viskosen Medium ist ein numerisch enorm anspruchsvolles Problem. Auch aufwändige Simulationen haben große Schwierigkeiten, die enorm komplexen dreidimensionalen Vorgänge zu erfassen, die auftreten, wenn sich in Luft, Flüssigkeiten oder Plasmen Wirbel mit unterschiedlichen topologischen Eigenschaften herausbilden. Auch Supercomputer stoßen hier an ihre Grenzen.
Abb.: Nach oben propagierender Spiralwirbel. (Bild: M. Scheeler, W. Irvine)
Bei idealen Flüssigkeiten gestaltet sich die Analyse wesentlich einfacher: Liegt keine innere Reibung vor und verschwindet demzufolge die Viskosität, geht auch keine Energie mechanisch verloren. Laut den Euler-Gleichungen für eine nicht-viskose strömende Flüssigkeit bleibt dann auch die Helizität erhalten, die sich aus der Summe von Verdrillung, Verkettung und Verwindung der beteiligten Filamente ergibt. In realen Medien mit inneren Reibungsverlusten gilt diese Erhaltung jedoch nicht mehr. Nur aufwändige Versuche können hier Klärung bringen, welche Arten von Wirbeln sich ausbilden und wie sich deren Dynamik gestaltet. Jetzt ist es einer Gruppe von Wissenschaftlern um William T. Irvine von der Universität Chicago gelungen, die Dynamik von Wirbeln in Wasser so exakt und umfangreich nachzuvollziehen, dass die Umwandlung der verschiedenen Arten helikaler Strömungen genau messen konnten.
Bislang gelangen solche Messungen immer nur teilweise. Das ist einerseits der Komplexität der zugrundeliegenden Dynamik geschuldet, andererseits aber auch ein Problem für die Hydro- und Magnetohydrodynamik. Denn sowohl die Kontrolle turbulenter und thermischer Konvektion als auch das Verständnis von Magnetfelder in Planeten und auf der Sonne hängt von solchen Prozessen ab. Das Erdmagnetfeld etwa ergibt sich aus der Kombination helikaler Strömungen tief im Erdinnern mit der differenziellen Rotation des flüssigen metallischen äußeren Erdkerns. Ähnliches gilt für die Magnetfelder von Sternen, die ebenfalls von solchen Prozessen unterhalb der Oberfläche herrühren. Auch die Plasmen in Fusionsreaktoren wie insbesondere in Tokamaks zeigen derartiges, schwer zu simulierendes Verhalten.
Abb.: Die verschiedenen Beiträge zur gesamten Helizität eines spiralförmigen Wirbels (a,b) sind Verdrillung („twisting“, c, f), Verkettung („linking, d, g) sowie Verwindung („writhe“, e, h) der Wirbelfilamente. (Bild: M. Scheeler et al.)
Dem Team aus Chicago ist es mit einem trickreichen Verfahren gelungen, die verschiedenen Arten von Wirbeln sichtbar zu machen. Zunächst nutzten sie speziell geformte Tragflächen, typischerweise mit hexagonaler Symmetrie. Dieses zogen sie durch das Wasser, um die Wirbel zu erzeugen. An den hinteren Kanten dieser Tragflächen trugen sie eine dünne Schicht von fluoreszierenden Farbstoff auf. Dabei brachten sie in kurzen, regelmäßigen Abständen ein wenig dickere Tropfen auf, so dass sie die Bewegung der Wirbel im Wasser mit Hilfe eines Hochgeschwindigkeits-3D-Lasersystems aufzeichnen konnten. Zur Bestimmung der exakten Geschwindigkeit nutzten sie Marker-Teilchen, die ohne Auftrieb und Wasser schwebten und die sie mit stationären Lichtflächen beleuchteten.
Die Wissenschaftler untersuchten zwei verschiedene Phänomene: Einmal ein Wirbelpaar aus einem einfachen kreisförmigen Wirbel und einem schraubenförmigen, die sich gegenseitig überholten – wie bei einem Rauchring, durch den ein zweiter geblasen wird. Die anderen Versuche machten die Forscher mit einem allein propagierenden Wirbel. Das Wirbelpaar stabilisierte sich gegenseitig. Beim Aneinander-Vorbei-Strömen kontrahierte und expandierte der helikale Wirbel wiederholt. Wie die Aufnahmen belegen, bleibt zumindest bei der ersten vollständigen Umrundung der beiden Wirbel die Helizität erhalten. Da keine Verkettung von Wirbeln vorlag, ergab sich diese aus der inneren Verdrillung der beteiligten „Wasserschläuche“ sowie deren Verwindung. Bei der Expansion und Kontraktion dieses Wirbels wandelte sich dabei die Verwindung teilweise in eine Verdrillung um und umgekehrt – ähnlich wie bei alten, gewundenen Telefonkabeln, die man in die Länge zieht und dann wieder entspannt. Die gute Erhaltung der Gesamt-Helizität war ein überraschendes Ergebnis und verdankt sich der effizienten Umwandlung von Verdrillung und Verwindung.
Über längere Zeiträume macht sich allerdings die Viskosität bemerkbar. Sowohl bei Wirbelpaaren als auch bei alleine propagierenden Wirbeln zeigte sich hier, dass vor allem die Verdrillung der Wasserfilamente schrittweise verloren geht und dementsprechend auch nicht mehr in Verwindung umgewandelt werden kann. Über längere Strecken verschwand die Verdrillung vollständig, während die Verwindung konstant blieb, so dass sich die Gesamt-Helizität dieser zunehmend annäherte. Der Grund hierfür liegt in der Topologie begründet: Verdrillung ist eine lokale Verdrehung der Wasserfilamente, während die Verwindung ebenso wie die Verkettung eine topologische Eigenschaft des Wirbels darstellt und als solche besonders geschützt gegenüber äußeren Einflüssen ist.
Mit Hilfe dieser und ähnlicher Experimente sollte es in Zukunft auch gelingen, zunehmend komplexe Wirbeldynamiken zu untersuchen – einschließlich Verkettungen mehrerer Wirbel, gegenseitige Beeinflussung naher Wirbel und die Wechselwirkung mit differenziellen Strömungen. Dies könnte nicht sich nur für die Lösung ingenieurstechnischer Strömungsprobleme als nützlich erweisen, sondern auch für fundamentale Fragen zum Verständnis von planetaren und solaren Magnetfeldern.
Dirk Eidemüller
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