William Herschel: Der musikalische Astronom
Vor 200 Jahren starb der Astronom und Entdecker des Uranus, der von der Musik zu den Sternen gekommen ist.
Stolz zeigte der König dem Erzbischof von Canterbury die Konstruktion aus Eisenblech und lud ihn ein, gemeinsam durch das Rohr zu gehen. „Der Bischof, der hinter dem König ging, hatte Schwierigkeiten beim Gehen, so wandte sich der König um und bot dem Bischof mit den Worten ‚Kommt, mein Herr Bischof, ich zeige Euch den Weg zum Himmel’ seine Hand“, berichtet Caroline Herschel, die Schwester und Assistentin des Astronomen.
Leider erfüllte das Teleskop nicht die hoch gesteckten Erwartungen. Die Herstellung des Spiegel erwies sich zunächst als schwierig. Dann stellte sich die horizontale und vertikale Bewegung des Teleskops mithilfe von Seilzügen und Winden als zu mühsam heraus. Schlimmer noch: Der Spiegel trübte sich schnell, was an der verwendeten Legierung lag, und er passte sich nur langsam an die Umgebungstemperaturen an. Die einzigen Entdeckungen, die William Herschel mit dem Riesenteleskop gelangen, waren ein sechster und siebter Mond des Saturns.
Die Öffentlichkeit feierte das Teleskop von Slough bei Windsor hingegen als Weltwunder. Um diesen Ruf gerecht zu werden und seinen Geldgeber nicht zu verärgern, hielt Herschel in den kommenden 30 Jahren himmelskundliche Veranstaltungen für die königliche Familie ab. Tatsächlich hat Herschel auch ohne Riesenteleskop weiter ins All geblickt als die meisten Astronomen seiner Zeit. Das ist umso erstaunlicher, als er seinen Weg in die Astronomie autodidaktisch fand und zunächst nur neben seinem Beruf als Organist, Komponist und Musiklehrer in der südenglischen Kurstadt Bath seiner zweiten Leidenschaft nachging.
Friedrich Wilhelm Herschel wurde am 15. November 1738 als eines von 10 Kindern von Isaak Herschel in Hannover geboren. Sein Vater war Oboist in der Königlich Hannoverschen Garde. Auch der Vater war Autodidakt. Seinen großen Wissensdrang und Lerneifer gab er an seine Kinder weiter. In klaren Nächten zeigte er ihnen die Sternbilder. Wilhelm besuchte die Garnisonsschule und trat mit 16 als Oboist in die Militärkapelle seines Vaters ein.
1752 war sein Regiment in England stationiert – das Königreich Hannover gehörte damals zu Großbritannien. Er lernte Englisch und beschäftigte sich mit der Philosophie John Lockes. Als in Europa der Siebenjährige Krieg ausbrach, erlebte Wilhelm Herschel die Niederlage der Hannoveraner bei Hastenbeck. Ermutigt durch seinen Vater verließ er die Militärkapelle und ging mit seinem älteren Bruder Alexander nach England. Dort verdiente er anfänglich seinen Unterhalt mit Noten kopieren und Musikunterricht. Er wurde Leiter mehrerer Militärkapellen, für die er auch Stücke komponierte. 1766, im Alter von 28 Jahren, erhielt er schließlich eine Anstellung als Organist in der Oktogonkirche in Bath.
Inzwischen war William Herschel, wie er sich nun nannte, finanziell abgesichert und genoss als Musiker und Komponist einen guten Ruf. Da die Aussicht seiner Schwester Caroline auf eine Eheschließung schlecht waren, holte er sie nach England, um sie zur Sopranistin ausbilden zu lassen. Sie kam im August 1772 in Bath an. Bis zu ihrem erfolgreichen Debut als Sängerin sollten noch fünf Jahre vergehen. Das lag nicht nur daran, dass Caroline neben Englisch Lernen und ihrer musikalischen Ausbildung den Haushalt führte, sondern ihr Bruder sie zunehmend als Assistentin beim Teleskopbau einspannte.
Erste astronomische Notizen finden sich in Herschels Tagebüchern schon ab 1766, als er nach Bath zog. Zu dieser Zeit war die Astronomie ein Zweig der angewandten Mathematik. Die Mathematik hatte Herschel schon im Zusammenhang mit der Harmonielehre interessiert. Sie bildete eine weitere Brücke zur Astronomie. Jetzt wollte er mit eigenen Augen sehen, was er in den Astronomie-Büchern gelesen hatte. Herschel beschaffte sich ein kleines Fernrohr, war jedoch mit dessen Qualität unzufrieden.
Um zu sehen „was vor ihm noch niemand gesehen hatte“, beschloss er, eigene Teleskope herzustellen. 1774 richtete in seinem Haus eine kleine Werkstatt ein, und begann mit Legierungen aus Kupfer und Zinn für die Spiegel zu experimentieren – Glas war damals zu teuer, weil es mit einer hohen Steuer belegt war. Während der ältere Bruder Alexander, ein ausgezeichneter Mechaniker, den Steuerungsmechanismus konstruierte, goss William die Hohlspiegel. Caroline musste ihn „füttern“, wenn er an manchen Tagen bis zu 16 Stunden ohne Pause Spiegel polierte. Die Werkstatt breitete sich über die Räume des Hauses aus und Carolines Arbeitsschwerpunkt verlagerte sich, zunächst wider ihren Willen, von der Musik zur Astronomie.
Um seine Teleskope zu testen, unternahm William Herschel 1775 seine erste Himmelsdurchmusterung, bei der er alle Sterne 4. Größe aufzeichnete. Drei Jahre später stellte er ein besonders gutes Teleskop mit einem siebenfüßigen Reflektor her und begann eine zweite Himmelsdurchmusterung, bei der er Sterne bis zur 8. Größe erfasste und mit den vorhandenen Sternkarten verglich. Dabei entdeckte er am 13. März 1781 auch einen relativ hellen Stern, den er für einen Kometen hielt. Sein Bericht an die Royal Society machte ihn innerhalb kürzester Zeit weltberühmt. Ende desselben Jahres konnte der französische Astronom Pierre Simon de Laplace nachweisen, dass es sich nicht um einen Kometen, sondern um einen Planeten handelte: der Uranus. Damit hatte sich die Ausdehnung des Sonnensystems mehr als verzehnfacht.
Seine Entdeckung bescherte Herschel eine große Nachfrage nach Teleskopen. Bis 1795 stellte er mehr als 400 Spiegel her. Allein der Erlös seiner Werkstatt hätte ihn auskömmlich ernährt. Zusätzlich erhielt Herschel 1782 eine Anstellung als königlicher Astronom. Caroline erhielt eine bezahlte Stelle als seine Assistentin. Sie tat sich später durch die Entdeckung mehrerer Kometen hervor.
Die Royal Society nahm Herschel 1782 in ihre Reihen auf und dieser revanchierte sich in demselben Jahr mit einem Katalog von 269 „optischen“ Doppelsternen. Diese standen dicht bei einander und waren unterschiedlich hell. Den schwächer leuchtenden Stern interpretierte er als weiter entfernt. Bei diesen Sternen suchte er nach periodischen Bewegungen, die aufgrund der Bewegung der Erde beobachtet werden (Fixstern-Parallaxe). Diese wollte er nutzen, um die Entfernung der Doppelsterne zu bestimmen. 1803 entdeckte er, dass es sich stattdessen um physische Doppelsterne handelte, also zwei unterschiedlich große Sonnen, die einander umkreisen. Sein Sohn setzte diese Arbeiten später fort.
1783 entdeckte Herschel die Eigenbewegung des Sonnensystems. 1784 unternahm er seine dritte Himmelsdurchmusterung und trug einen zweiten Doppelstern-Katalog zusammen. In demselben Jahr charakterisierte er die Polkappen des Mars. 1787 entdeckte er zwei Uranus-Monde und 1798 eine dritten. Seinen ersten „Katalog von 1000 neuen Nebeln und Sternhaufen“ veröffentlichte er 1786. Der zweite folgte 1789 und ein dritter 1802, der 500 weitere Nebel und Sternhaufen enthielt. Herschel verzeichnete die Himmelsobjekte aber nicht nur, sondern ordnete sie auch acht Klassen zu, die er als unterschiedliche Entwicklungsstadien und Alter ansah. Mit diesem Gedanken einer zeitlichen Entwicklung des Universums war er seiner Zeit weit voraus.
Eine weitere zukunftsweisende Idee war es, die Sterne innerhalb bestimmter Himmelsfelder zu zählen. Ausgehend von der Vorstellung, dass die Sterne im Universum ursprünglich gleichmäßig verteilt waren und gleich hell sind, schloss Herschel, dass die jeweils ermittelte Sternenzahl proportional zur Tiefe des Systems in der zugehörigen Richtung ist. 1774 erschien seine erste Arbeit über die Struktur des Milchstraßensystems (Construction of the Heavens). Das Umrissbild stimmt mit den heutigen Erkenntnissen gut überein, auch wenn Herschel die Zahl der Sterne unterschätzte.
Schließlich fertigte Herschel zwischen 1796 bis 1799 auch Helligkeitskataloge über die scheinbare Helligkeit der Sterne und deren Veränderlichkeit an. Damit schuf er die Grundlage für die astronomische Photometrie. Dank Herschels Arbeiten entwickelte sich das Feld der beobachtenden Astronomie zu einem eigenen Forschungsgebiet. Das lag nicht nur an der Qualität seiner Teleskope, sondern auch an dem ungeheuren Ideenreichtum und Fleiß des Astronomen und seiner Schwester.
Zahlreiche astronomische Entdeckungen tragen Herschels Namen: ein Krater auf dem Mond und auf dem Saturnmond Minas, eine Lücke in den Saturnringen sowie ein Asteroid. Nach ihm ist das Teleskop auf La Palma benannt, und 2009 schickte die ESA das bis dahin größte Infrarot-Weltraumteleskop auf eine vierjährige Reise. Dessen Beobachtung der „Geburt von Sternen“ bestätigten die Theorien seines Namensgebers und hätten ihn sicher begeistert.
Im Jahr von Herschels 200. Todestag wurde auch seine Musik gewürdigt. So wurden einige seiner Werke am 30. März in einem Konzert des Internationalen Musikfestivals Heidelberger Frühlings gespielt, begleitet von einem astronomischen Vortrag. Eine Aufzeichnung des Konzerts wird im Radiosender SWR2 am 25. August um 13:05 Uhr übertragen. Ausschnitte davon und weitere Werke Herschels sind dann am 28. August um 16:05 zu hören, ebenfalls auf SWR2.
Anne Hardy
Weitere Infos
- The Scientific Papers of Sir William Herschel, Royal Society & Royal Astronomical Society, London 1922: Volume I / Volume II (Internet Archive)
- I. Lechner, Das Wirken der Familie Herschel (Vortrag vor dem Österreichischen Astronomischen Verein am 11. Dezember 2010) PDF
- G. Inhester, Monatsthema Februar 2007: Friedrich Wilhelm Herschel (Astronomische Arbeitsgruppe Laufen)
- J. S. Schlimmer, Friedrich Wilhelm Herschel und die Doppelsterne (epsilon-lyrae.de 04/2006)
- V. Duckles, Sir William Herschel as a Composer, Publications of the Astronomical Society of the Pacific 74, No. 436, p.55 (1962)
- H. MacPherson, Herschel, MacMillan, London/New York 1919 (Wikisource)
Weitere Beiträge
- O. Dreissigacker, Ruhe in Frieden, Herschel!, Physik Journal, Juni 2013, S. 7 PDF
- Z. Kopal, Der Werdegang der astronomischen Optik, Physikalische Blätter 13, 4 (1957) PDF
- A. Hardy, Leon Lederman: Myonen, Neutrinos und Ypsilon (Physik Journal Nachrichten, 15. Juli 2022)
AP
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