Wolkenforschung in der Antarktis
Erstmalige Messung die vertikale Verteilung von Aerosolpartikeln und Wolken über der deutschen Neumayer-Station III.
In den kommenden zwölf Monaten wird zum ersten Mal die vertikale Verteilung von Aerosolpartikeln und Wolken in der Atmosphäre über der deutschen Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts vom Boden aus beobachtet. Die höhenaufgelösten Messungen sind die ersten dieser Art im Königin-Maud-Land auf der atlantischen Seite der Antarktis und damit in einem Gebiet größer als Grönland. Zum Einsatz kommt dabei die Messplattform OCEANET-Atmosphere des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung TROPOS, die bereits bei der internationalen MOSAiC-Expedition auf dem Forschungseisbrecher Polarstern für ein ganzes Jahr in der Arktis unterwegs war und nun bis 2024 in der Antarktis betrieben wird.
Das einmalige Set an Laser- und Radar-Messgeräten wurde Anfang 2023 installiert und an Neumayer III in Betrieb genommen. Die Messungen werden im Rahmen des Projekts COALA – Kontinuierliche Beobachtungen von Aerosol-Wolken-Interaktionen in der Antarktis – von der DFG gefördert und in enger Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut durchgeführt.
Der Antarktische Kontinent als weltgrößter Süßwasserspeicher und das angrenzende Südpolarmeer sind Schlüsselkomponenten des sich ändernden globalen Klimasystems. Trotzdem gelingt es Wetter- und Klimamodellen bisher noch nicht, Prozesse wie Wolkenbedeckung, Niederschlag und Strahlungsbudget in dieser Region zufriedenstellend abzubilden. Diese Ungenauigkeiten führen dazu, dass Faktoren wie Oberflächentemperatur des Ozeans, Energieaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre oder die Schneemengen falsch eingeschätzt werden.
Den Wissenschaftlern fehlen genaue Referenzdaten zur Wolkenbildung in der sauberen Atmosphäre dieser relativ unbewohnten Region. „Sauber“ bedeutet dabei, dass Aerosolpartikel, also kleinste luftgetragene Partikel wie Seesalz, Wüstenstaub, industrielle Luftverschmutzung oder Rauch, nur in sehr geringen Mengen auftreten. Eine besondere Herausforderung für die Forscher stellt der ungewöhnlich hohe Anteil von unterkühlten Wassertropfen in den Wolken über der Antarktis dar. Flüssiges Wasser tritt in Wolken bei Temperaturen zwischen -38°C und 0°C nur auf, wenn die zur Vereisung der Wolkentropfen nötigen Eiskeime - eine spezielle Unterart der atmosphärischen Aerosolpartikel - fehlen. Deshalb stehen Aerosolpartikel und die damit verbundenen Eisbildungsprozesse derzeit im Fokus der Wolkenforschung.
Im Gegensatz zur Nordhemisphäre mit mehr Landmassen und entsprechend höherer Bevölkerungszahl gibt es um die Antarktis vergleichsweise wenige Quellen für Aerosolpartikel. Ferntransport könnte deshalb eine wichtige Rolle spielen, ist aber bisher kaum untersucht. Dass der Rauch der Waldbrände in Sibirien 2019 auch noch im folgenden Winter über der zentralen Arktis schwebte, war ein unerwartetes Ergebnis der MOSAiC-Expedition. „Dank unserer Messungen wurde klar, dass diese Partikel die Atmosphäre in den Polargebieten sehr lange beeinflussen können. 2019/20 konnten wir den Rauch der großen Waldbrände in Australien auch noch auf der anderen Seite des Pazifiks in Chile registrieren. Doch wieviel von diesem Rauch oder von Aerosolpartikeln aus anderen Quellen gelangt bis in die Antarktis? Das kann momentan niemand sagen. Wir hoffen, dass wir durch die Messungen an Neumayer III diese Wissenslücke schließen können“, erläutert Patric Seifert vom TROPOS.
Flugzeugmessungen sind in dieser abgelegenen Region selten und können immer nur eine Momentaufnahme sein. Mit Satelliten lassen sich diese kleinskaligen Aerosol-Wolken-Interaktionsprozesse dort ebenfalls kaum mit der nötigen Genauigkeit erfassen. Doch bodengestützte, vertikal aufgelöste Langzeitbeobachtungen von Aerosol, Wolken und Niederschlag in der Antarktis sind bisher selten. „Nach unseren Recherchen hat es in der riesigen Antarktis bisher nur 13 Monate lang koordinierte zusammenhängende Messungen mit Wolkenradar und Aerosol-Lidar gegeben und auch nur auf der anderen Seite der Antarktis - im 3500 Kilometer entfernten Teil der Antarktis, der an den Pazifik grenzt. Im Gegensatz zu Neumayer III steht die US-Station McMurdo auf Fels statt auf Schelfeis, was auch noch einen großen Unterschied macht“, unterstreicht Ronny Engelmann vom TROPOS, der die Messplattform OCEANET-Atmosphere betreut und dadurch auch bei der internationalen MOSAiC-Expedition in der Arktis auf dem ersten Fahrtabschnitt dabei war.
OCEANET-Atmosphere ist ein autonomer, polarerprobter, modifizierter Messcontainer, vollgestopft mit modernstem Equipment zur Atmosphärenbeobachtung. Aktuell ist es die einzige polare Einzelcontainer-Plattform, die mit Mehrwellen-Lidar, Radar und Mikrowellenradiometer Aerosole, Wolken und Niederschlag sowie mit Doppler-Lidar und -Radar turbulente Luftbewegungen in Wolken beobachten kann.
Im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes COALA wurde dieser Container jetzt im antarktischen Sommer mit dem deutschen Forschungseisbrecher Polarstern antransportiert und auf einer festen Messplattform in der Nähe der Forschungsstation Neumayer III auf dem Ekström-Schelfeis etwa 4000 Kilometer südlich von Kapstadt installiert. OCEANET tritt damit in die Fußstapfen des internationalen EDEN-ISS-Projekts, das an dieser Stelle 2018 ein Containersystem mit Gewächshausversuchen zur Verpflegung im All betrieben hatte.
Anfang 2023 haben die beiden TROPOS-Forscher Ronny Engelmann und Martin Radenz ihre Messgeräte in Betrieb genommen. Inzwischen tastet erstmals der grüne Laser eines Mehrwellen-Lidars die Atmosphäre über Neumayer III ab. Aus der Laufzeit, Intensität und Polarisation der zurückgestreuten Signale lassen sich Informationen über Höhe, Menge und Art der Staubpartikel in der Atmosphäre ableiten. Engelmann ist nach dem Aufbau bereits zurück in der Heimat. Sein Kollege Radenz dagegen wird im Eis bleiben.
„Um die Qualität der Messungen außerhalb der sehr kurzen Sommersaison zu sichern und den ganzen Jahresgang abzubilden, gibt es kaum Alternativen als vor Ort zu bleiben. Für einen regelmäßigen Austausch des Personals im Winter wie bei MOSAiC ist die Station schlicht zu abgeschieden. Eine Herausforderung, auf die wir dank der Erfahrungen vom AWI gut vorbereitet worden sind“, sagt Radenz, der zum zehnköpfigen Team gehört, das 2023 auf der Neumayer-Station III überwintern wird.
Bereits seit Dezember 2019 werden am Spurenstoff-Observatorium der Neumayer-Station III zwei Parameter gemessen, die Auskunft über die Wolkenbildung geben: die Konzentrationen an Wolkenkondensationskeimen und Eisnukleationskeimen. Diese kontinuierlichen Messungen erlauben Rückschlüsse auf die jahreszeitlichen Änderungen der Bewölkung. „Wir sehen einen ausgeprägten Jahresgang mit um Faktor zehn höheren Werten an Wolkenkondensationskeimen im Sommer“, sagt Silvia Henning vom TROPOS, die diese Messungen in Kooperation mit dem AWI betreut. Zusammen mit Fernerkundungsmessungen entsteht so ein umfassender Datensatz, der Aerosol-Wolken-Interaktion vom Boden bis in die Stratosphäre charakterisiert.
„Mit den OCEANET-Instrumenten heben wir die Möglichkeiten der Wolkenforschung auf ein neues Niveau“, betont Radenz und bezieht sich auf die Fähigkeiten von Doppler-Lidar und Doppler-Radar, die Luftbewegungen in der Atmosphäre beobachten zu können. „Denn bisher fand in nur wenigen Studien Beachtung, dass auch die Turbulenz der Atmosphäre einen wichtigen Einfluss auf die Bildung von Wolken und auf die Entstehung von Wassertropfen bei Temperaturen von unter 0°C haben kann. Vertikalwinde sind ein weiteres unerlässliches Element, um die Transformation von Aerosolpartikeln und Wasserdampf hin zu Wolken, Eisbildung und Niederschlag beschreiben zu können.“
Die jetzt gestarteten Messungen an der Neumayer-Station III sollen später mit bereits vorhandenen Datensätzen aus Südchile, Zypern, Deutschland und der Arktis verglichen werden und neue Erkenntnisse liefern, weshalb die Wolken im äußersten Süden sich so stark von denen auf der Nordhemisphäre unterscheiden.
TROPOS / RK
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